Der rasante Anstieg des Bevölkerungswachstums beginnt mit der Industrialisierung (ab Mitte des 18. Jahrhunderts). Mit wachsendem Wohlstand und vor allem hygienischen und medizinischen Fortschritten wurden die Menschen älter. Die Sterberfälle in den Industrienationen in Europa und wenig später auch in Nordamerika nahmen rapide ab, während die Zahl der Neugeborenen (Geburtenrate) erst mit einiger Zeitverzögerung ebenfalls auf ein niedriges Niveau sank. Bevölkerungswissenschaftler sprechen vom Modell des „demographischen Übergangs“ (Transition).
Diese Theorie stellt vereinfacht ein Drei – Phasen – Modell dar und berücksichtigt auch wirtschaftliche Entwicklungen. Es geht zunächst von einer hohen Geburten- und Sterberate in vorindustriellen Gesellschaften aus. Schlechte Lebensbedingungen, mangelnde medizinische Versorgung und Armut lassen die Menschen sehr früh sterben. Wegen der hohen Kindersterblichkeit müssen viele Kinder geboren werden; zudem gelten sie als „Altersversicherung“ (Phase eins). Das Bevölkerungswachstum ist in dieser Phase gering.
Bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen wie die Industrialisierung erzielen medizinische Fortschritte und eine Verbesserung der Lebensstandards. Die Menschen leben länger und es entsteht ein Geburtenüberschuß, da die Geburtenzahlen zunächst hoch bleiben. Wissenschaftler sprechen dann von einer sich öffnenden „Bevölkerungsschere“, in der die Bevölkerung stark wächst (Phase zwei).
Mit wachsendem Wohlstand und fortschreitender Urbanisierung (alles über Verstädterung/Urbanisierung) treten Konsumwünsche in den Vordergrund, die sich mit weniger Kindern besser realisieren lassen. Zudem sorgt die Medizin dafür, daß die Säuglingssterblichkeit ganz erheblich zurückgeht. Viele Kinder sind nun nicht mehr notwendig. Die Geburtenrate gleicht sich dem niedrigen Niveau der Sterberate an (Phase drei).
Diesen „demographischen Übergang“ haben die Industrienationen schon durchlebt. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts wuchsen sie stark an. Dann sank die Zahl der Neugeborenen bis auf das heutige niedrige Niveau. Natürlich ist die Bevölkerungsentwicklung hier nicht immer genau nach diesem Schema verlaufen. So sind beispielsweise in Frankreich schon seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts nicht nur die Sterbe-, sondern auch die Geburtenzahlen zurückgegangen. Die Industrieländer tragen derzeit kaum noch zum Bevölkerungswachstum bei.
Wenngleich viele Entwicklungsländer heute da zu stehen scheinen, wo die Industrieländer Ende des 19. Jahrhunderts standen, sind die Ausgangsbedingungen doch sehr unterschiedlich. Schon die ungleichen Größenordnungen lassen die Frage aufkommen, ob das Modell zur Erklärung für die heutige Situation der Entwicklungsländer überhaupt geeignet ist. Damals handelte es sich um 200 Millionen Europäer gegenüber etwa 4,2 Milliarden Menschen in den heutigen Entwicklungsländern. Weitere Unterschiede sind die Zuwachsraten, die heute in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerika bei weitem höher sind.
Doch auch in diesem Ländern hat es einen „demographischen Übergang“ gegeben, der in der Regel sogar schneller vonstatten ging als im Europa und Nordamerika des vorigen Jahrhunderts. Viele europäische Länder brauchten annähernd 100 Jahre für die Transition. China und Thailand schafften das in nur sieben beziehungsweise acht Jahren. Fast alle Entwicklungsländer weisen heute einen geringeren prozentualen Zuwachs ihrer Bevölkerungen auf als Anfang der 60 Jahre. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau (= Fruchtbarkeits- oder Fertilitätsrate) ist in Asien von 5,1 Kindern (1975) auf heute 2,8 Kinder gefallen und in Lateinamerika von fünf auf drei Kinder. In Afrika bekommt eine Frau heute durchschnittlich 5,6 Kinder, 1975 waren es noch 6,6. Zum Vergleich: In Europa bringen Frauen heute durchschnittlich 1,4 Kinder auf die Welt.
Entscheidend für heutige Lösungsstrategien ist, welche Faktoren den „demographischen Übergang“ beschleunigen können, damit sich die Bevölkerungsschere auch in diesen Ländern schließen kann.
Stand: 21.11.2001