Geschmack ist keine Erfindung von uns Menschen: Als vor mehr als 500 Millionen Jahren der erste primitive Fisch entstand, konnte auch er seine Nahrung höchstwahrscheinlich bereits schmecken. Für die ersten Wirbeltiere war das Aroma ihrer Mahlzeiten aber vorerst wohl noch ziemlich einseitig: Denn die ersten Fische besaßen vermutlich nur den Sinn für umami – den für proteinreiche Nahrung typischen Glutamatgeschmack. Darauf zumindest deuten Untersuchungen an bestimmten Seekatzen hin. Die Vorfahren dieser sogenannten Elefantennasenchimären (Callorhinchus) trennten sich bereits vor 400 Millionen Jahren von den anderen Fischen und auch den Vorfahren der Landwirbeltiere ab. Erst später in der Evolution kamen dann bitter, süß, sauer und salzig hinzu.
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Blind für Süßes
Biologen gingen lange selbstverständlich davon aus, dass alle Säugetiere- ähnlich wie wir – diese fünf Grundgeschmäcker besitzen. Doch sie täuschten sich, wie Gary Beauchamp vom Monell Chemical Senses Center in Phildelphia in den 1970er Jahren entdeckte. Er stellte fest, dass für eine Katze süße Sahne und normale Milch nahezu gleich schmecken. Denn der vierbeinige Jäger kann, wie die meisten seiner Verwandten, Süßes gar nicht wahrnehmen. Ob Tiger, Gepard, Löwe oder zahme Hauskatze – ihnen allen fehlt schlicht der Sensor dafür. Wie Beauchamp und sein Team im Jahr 2005 herausfanden, hat eine Mutation im Laufe der Evolution bei allen Katzen eines der beiden Gene deaktiviert, die für den Süßsensor unverzichtbar sind.
2012 kam es noch seltsamer: Auf der Suche nach dem biologischen Hintergrund für diesen seltsamen Ausfall entdeckten Beauchamp und seine Kollegen weitere Tiere ohne Süßsensor. Neben Tüpfelhyänen und einer asiatischen Otterart gehörten auch Pelzrobben, Seehunde, Seelöwen und zwei in Asien vorkommende Katzenverwandte dazu. „Dass so viele verschiedene Arten im Laufe der Evolution unabhängig voneinander ihren Süßgeschmack verloren haben, war ziemlich unerwartet“, sagt Beauchamp. Denn die betroffenen Arten sind nicht eng miteinander verwandt, sondern entstammen ganz unterschiedlichen Säugetiergruppen. „Innerhalb der Gruppen gibt es zudem Arten, die Süßes schmecken und andere, die dies nicht können.“
Reine Fleischfresser brauchen keinen Süßsinn
Aber warum? Einen Hinweis gab der Speiseplan der betroffenen Tierarten: Sie alle ernährten sich ausschließlich von Fleisch oder Fisch. Pflanzliche Nahrung kamen ihnen nicht in den Magen. Der Brillenbär dagegen, der durchaus auch Fleisch frisst, ist eher ein Opportunist: Findet er süße Beeren, nascht er gerne auch davon. „Es ist daher wahrscheinlich, dass die Nahrungsgewohnheiten und vor allem der Wandel zum obligatorischen Fleischfresser den Verlust des Süßsensors bei den Raubtieren gefördert haben“, sagt Beauchamp. Da der Süßgeschmack bei Fleisch nicht vorkommt, ist er für die reinen Fleischfresser entbehrlich. Der Brillenbär und andere Allesfresser dagegen benötigen den Süßsensor noch, weil die Süße ihnen anzeigt, wo sie zuckerreiche und damit nahrhafte Pflanzen finden.
Fledermäuse, Pandas und Delfine
Es ist daher nur folgerichtig, dass alle Früchte fressenden Fledermäuse noch Süßsensoren besitzen, die blutsaugenden Vampirfledermäuse aber nicht. Umgekehrt erscheint es auch logisch, dass der Panda keinen umami-Rezeptor besitzt: Denn er frisst ausschließlich Bambus – eine streng vegetarische Diät. Er muss daher nicht unterscheiden können, ob sein Futter viel oder wenig Glutamat enthält, solange er beim Bambus bleibt, kann er quasi nichts falsch machen.
Eine Sonderrolle in punkto Geschmackssinn nimmt der Delfin ein. Denn diesem Meeressäuger fehlt nicht nur der Sinn für Süßes, auch umami und bitter kann er höchstwahrscheinlich nicht schmecken, auch deren Gene sind bei ihm durch eine Mutation deaktiviert. Nach Ansicht von Beauchamp ist aber auch dies durch die Ernährung des Meeressäugers zu erklären: Delfine schlingen ihre Beute meist ganz hinunter, ohne lange zu kauen. Zum lange im Mund behalten und Schmecken ist dabei daher ohnehin kaum Gelegenheit.
Nadja Podbregar
Stand: 19.10.2012