Wenn ein Mensch über längere Zeit gestresst ist, sieht man ihm die psychische Belastung oft auch an: Er wirkt grau und müde und scheint sogar mehr Falten bekommen zu haben. Ob dieser subjektive Eindruck trügt oder ob Stress uns tatsächlich körperlich schneller altern lässt, war lange Zeit unklar. Unter anderem deshalb, weil die Prozesse der Zellalterung und ihre Einflussfaktoren erst in den letzten Jahren genauer ergründet worden sind. Inzwischen aber zeigt sich, dass psychischer Stress tatsächlich das Altern auf zellulärer Ebene beschleunigt.
Endkappen als Altersanzeiger
Wie alt eine Zelle oder ein Gewebe ist, zeigt sich vor allem an ihren Chromosomen. Denn jede Zellteilung knapst an den Enden der 46 kompakten Erbgutpakete ein Stück ab. Lägen in diesen Endstücken wichtige Gene, wäre die Funktionsfähigkeit der Zelle schnell gestört und sie würde schon nach wenigen Teilungen absterben. Glücklicherweise sorgt ein spezieller Schutzmechanismus dafür, dass dies nicht geschieht. Die Enden der Chromosomen tragen eine Art Puffer: eng mit Proteinen verwobene DNA-Abschnitte, die keine kodierenden Gene enthalten.
Diese Endkappen, auch Telomere genannt, werden zwar auch bei jeder Zellteilung ein Stück verkürzt, da sie aber für die Funktion der Zelle nicht unbedingt benötigt werden, schadet dies zunächst nicht. Zudem werden diese Endkappen nach der Teilung zumindest zum Teil wieder aufgestockt. Das Enzym Telomerase ergänzt einen Teil der fehlenden DNA und gleicht so den Verlust aus. Weil dies aber nicht vollständig geschieht, schrumpfen unsere Telomere mit steigendem Alter. Haben sie eine kritische Länger unterschritten, sind die Tage der Zelle gezählt: Sie teilt sich nicht mehr und stirbt schließlich ganz ab. So weit, so bekannt.
Kranke Kinder stressen selbst die Chromosomen
Im Jahr 2004 aber stößt die Telomerforscherin und spätere Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn auf einen weiteren Faktor in diesem komplexen Zusammenspiel: den Stress. In einer Studie vergleicht sie die weißen Blutkörperchen von Müttern mit gesunden und mit chronisch kranken Kindern. Sie will wissen, ob die große psychische Belastung durch die Sorge um das kranke Kind sich auch auf der Ebene der Zellen niederschlägt und so vielleicht erklärt, warum gestresste Menschen schneller zu altern scheinen. „Psychologischer Stress könnte die Zellalterung theoretisch auf drei ganz unterschiedlichen Wegen beeinflussen“, erklärt sie. „Er könnte die Funktion oder Zahl der Abwehrzellen und damit das Immunsystem verändern, er könnte den oxidativen Stress durch aggressive Moleküle erhöhen oder aber die Aktivität des Enzyms Telomerase beeinträchtigen.“
Tatsächlich bestätigen sich zwei ihrer drei Hypothesen: In den weißen Blutkörperchen der gestressten Mütter finden sich mehr Schäden durch aggressive Moleküle und auch ihre Telomere sind kürzer – und zwar deutlich. Im Durchschnitt tragen die Chromosomen-Endkappen dieser Frauen 550 Basenpaare weniger als die ihrer weniger gestressten Altersgenossinnen. „Umgerechnet auf die Zellalterung bedeutet dies, dass ihre weißen Blutkörperchen zwischen neun und 17 Jahre älter sind“, erklärt Blackburn.
Und auch in Folgestudien stoßen Forscher inzwischen immer wieder auf diese Beziehung zwischen Stress und Telomeren. Ähnliche Effekte wurden zudem inzwischen auch für Gewalterfahrungen und Vernachlässigung in der frühen Kindheit nachgewiesen. „Es ist immer das gleiche, egal ob bei Kindergartenkindern oder über 80-Jährigen, bei kleinen Stichproben oder Studien mit mehreren Tausend Teilnehmern“, so die Forscherin. Schuld an diesen Effekt ist, so die gängige Theorie, unter anderem das Stresshormon Cortisol, das die Wirkung der Telomerase hemmt und so die adäquate Reparatur der Endkappen verhindert.
Nadja Podbregar
Stand: 25.01.2013