Zu wissen, was in anderen vorgeht, ist wohl eine unserer wichtigsten sozialen Fähigkeiten. „Wechselseitiges Verstehen bildet die Grundlage unseres Zusammenlebens und unserer Kultur“, erklärt der Schweizer Psychotherapeut Mario Schlegel. Was denkt mein Gegenüber? Wie geht es ihm gerade und wie beeinflusst dies sein Verhalten?
Die Fähigkeit, das zu erkennen und vorherzusagen, ist ein wesentlicher Baustein des menschlichen Miteinanders – die Rede ist von Empathie. Doch was verbirgt sich eigentlich genau hinter diesem Begriff? Experten unterscheiden häufig zwischen der emotionalen und der kognitiven Empathie. Letztere meint die Fähigkeit, die Gedanken und Absichten anderer Menschen zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen zu ihrem Verhalten abzuleiten.
Basis für Hilfsbereitschaft
Mit der emotionalen Empathie ist dagegen das Mitfühlen mit anderen gemeint: Sehen wir beispielsweise eine Person in Not, so verstehen wir ihre Situation nicht nur gedanklich, sondern können diese auch nachempfinden. Umgekehrt kann auch die Freude anderer ansteckend wirken: Wir erkennen nicht nur, warum sich unser Gegenüber in einer bestimmten Situation freut. Wir sind auch dazu in der Lage, uns tatsächlich mitzufreuen.
Diese für den Menschen so typische Eigenschaft macht Dinge wie Kooperation, Hilfsbereitschaft und konstruktive Kommunikation erst möglich, sind Experten überzeugt. Doch unsere Empathie hat Grenzen. Auch wenn wir dazu in der Lage sind, uns selbst in Fremde hineinzuversetzen, bedeutet das nicht, dass wir automatisch mit jedem mitfühlen und -leiden.
Nähe stärkt Mitgefühl
Flutkatastrophen oder Terroranschläge am anderen Ende der Welt nehmen uns für gewöhnlich weniger mit als der Unfall oder die Attacke vor der eigenen Haustür: Das Unglück anderer Menschen betrifft uns umso stärker, je näher uns diese Menschen stehen und je ähnlicher sie uns sind.
Dieses unterschiedlich ausgeprägte Mitgefühl lässt uns mitunter sogar intensiver mit einem Haustier fühlen als mit einem uns unbekannten Menschen. Nicht zuletzt steht mangelnde Empathie für „den Fremden“ auch hinter vielen Konflikten zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen.