Wir alle besitzen eine innere Uhr – einen internen Taktgeber, der uns nicht nur verrät, welche Tageszeit gerade herrscht und unsere Körperfunktionen dementsprechend steuert. Die innere Uhr verleiht uns auch unser Zeitgefühl – erst sie ermöglicht es uns, Zeitspannen zu erfassen und abzuschätzen.
„Die Gegenwart dauert drei Sekunden“
„Das, was wir als Gegenwart bezeichnen, dauert ungefähr drei Sekunden. Das entspricht interessanterweise auch in etwa der Länge einer Gedichtzeile oder aber der Dauer des sozialen Blicks. Zumindest empfinden wir den Blickkontakt dann am angenehmsten“, erklärt der Psychiater und Zeitgefühlsforscher Kai Vogeley. Unser innerer Taktgeber ermöglicht es uns, beispielsweise Melodien überhaupt erst als solche wahrzunehmen, statt in ihnen einfach nur eine zusammenhanglose Abfolge von Tönen zu hören. Außerdem sorgt er bei jeder Handlung und sozialen Interaktion für das richtige Timing.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Wissenschaftler auf der ganzen Welt schon lange versuchen, die Mechanik der inneren Uhr zu entschlüsseln. Dabei scheint ihnen fast jedes Mittel recht. Sie schließen Patienten wochenlang in unterirdischen Bunkern ein, lassen sie gefährliche Aufgaben unter Wasser ausführen oder rücklings von einem 31 Meter hohen Turm in die Tiefe fallen. Auch Hudson Hoagland zögerte nicht, einen Studenten mittels Thermotherapie künstlich fiebern zu lassen. Aber warum ist es so schwer, das Geheimnis um die Zeit zu lüften?
Warum das Zeitgefühl so schwer messbar ist
„Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht“ – dieser prominente Seufzer des spätantiken Philosophen und Kirchenlehrers Augustinus verdeutlicht nicht nur, dass sich Menschen schon seit einer ganzen Weile den Kopf über dieses rätselhafte Phänomen zerbrechen, er bringt auch seine eigentümliche Ambivalenz zum Ausdruck.
Mit der Zeit verhält es sich ein wenig wie mit der Schliere im Augenwinkel. Man nimmt sie zwar wahr, aber sobald man versucht, sie zu fokussieren, verschwindet sie wieder. „In dem Augenblick, in dem jemand anfängt, über Zeit nachzudenken, verändert das die Zeitwahrnehmung“, erklärt Mathis Jording vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich, das Problem. „Wenn wir Menschen also im Zusammenhang mit einem Experiment fragen, wie sie Zeit erleben, impliziert das, dass sie darüber nachdenken. Das ist ein großes Problem bei der Untersuchung.“
Autor: Philippe Patra/ Forschungszentrum Jülich