Ist eine Tierart nur dann schützenswert, wenn ihr Weiterbestand für Menschen Sinn macht? Mit dieser Frage beschäftigt sich Karin Wohlgemuth von der Universität Innsbruck. In ihrer Dissertation beleuchtet die Philosophin die Mensch-Tier-Beziehung im Zusammenhang mit dem Artensterben im Anthropozän.
Galoppierendes Artensterben
„Der im Mai 2019 erschienene globale Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES sieht eine Million von geschätzten acht Millionen Spezies der Flora und Fauna vom Aussterben bedroht“, beschreibt Wohlgemuth die Ausgangslage für ihre Arbeit. „Das durch Menschen verursachte Artensterben ist in erster Linie auf einen Verdrängungsprozess und einen Kampf um Ressourcen und Lebensraum zurückzuführen. Der Biodiversitätsverlust zählt also sicher zu den drängendsten Herausforderungen unserer Zeit.“
Die Forscherin will in ihrer Arbeit das Artensterben und seine Ursachen genauer beleuchten und insbesondere untersuchen, wie sich Mensch-Tier-Beziehungen im Rückgang der Diversität der Fauna abbilden. „Die gesellschaftspolitischen Herausforderungen des Biodiversitätsverlustes und des Artensterbens fordern neue Betrachtungsweisen unseres Verhältnisses zu Tieren“, ist Wohlgemuth überzeugt.
„Welche Tiere lassen wir sterben?“
„Ich möchte vor diesem Hintergrund die Fakten zum Artensterben analysieren: Wovon sprechen wir, wenn wir von Artensterben sprechen? Was bedeutet es, wenn eine Art ausstirbt, was, wenn viele Arten aussterben? Und in Bezug auf das gegenwärtige Massensterben: Welche Tiere lassen wir sterben?“, erklärt die Philosophin. Denn der emotional positiv behafteten Megafauna stehe ein weitgehend stilles Sterben der Amphibien und der Entomofauna gegenüber. Als Entomofauna wird die Gesamtheit der Insektenarten in einem Gebiet oder auch weltweit bezeichnet.
Vielen Artenschutzprogrammen liegt die Rote Liste der IUCN zugrunde, in der gefährdete, bedrohte und ausgestorbene Arten gelistet sind. Diese Listen umfassen aber nur etwa ein Prozent aller Tiere, vorwiegend Wirbeltiere. Wirbellose dagegen bleiben dramatisch unterrepräsentiert – oft weil es bei diesen Tiergruppen an Fachleuten und Freiwilligen fehlt, die an den Erbhebungen mitwirken. Die Frage, warum wir als Gesellschaft diese Tiergruppen als weniger schützenswert erachten, ist eine zentrale Frage des Forschungsvorhabens der Philosophin.