Eines ist klar: Wie andere Dinge im Leben, lernt man Lesen nur dadurch, dass man es tut. Aber wann und wie häufig lesen Kinder verschiedene Wörter und Wortverbindungen? Welche Informationen nehmen sie beim Lesen auf und wie nutzen sie diese?
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Schriftsprache ist reichhaltiger
Bei der Antwort auf diese Fragen soll das Kooperationsprojekt Kinder-Korpus childLex helfen. Es stellt umfangreiche Informationen darüber zur Verfügung, welche linguistischen Eigenschaften die Sprache hat, die von Kindern gelesen wird. Dabei ist zunächst einmal festzuhalten, dass die Sprache in Büchern, die sogenannte Schriftsprache, sich in verschiedener Hinsicht von der gesprochenen Sprache unterscheidet, die Kinder ja bereits vor Schuleintritt sicher beherrschen.
Der wichtigste Unterschied für das Lesen ist, dass geschriebene Sprache in Büchern ungleich reichhaltiger ist als unsere Alltagssprache. Es ist eine Eigenschaft von Sprache, dass sich die Wörter in ihr sehr ungleich verteilen.
Von Riesen und Zwergen – das Zipf’sche Gesetz
Der vorliegende Text ist bis hierhin 449 Wörter lang. Allerdings wurden nur 240 unterschiedliche Wörter verwendet. Das Wort, das am häufigsten verwendet wurde, ist „ist“ (insgesamt 23-mal). Ebenfalls häufig verwendet wurden „die“ (20-mal) und „lesen“ (13-mal), das Wort „Wort“ (12-mal) und „und“ kam immerhin 9-mal vor. 169 Wörter („englische“, „Farben“, „Hinsicht“ usw.) kamen allerdings lediglich 1-mal, 26 Wörter nur 2-mal vor.
In der Linguistik ist diese Gesetzmäßigkeit als „Zipf’sches Gesetz“ bekannt, das man salopp als „Es gibt wenig Riesen und viele Zwerge“ zusammenfassen kann. Das heißt, es gibt relativ wenig Wörter, die sehr häufig verwendet werden, und sehr viele, denen man nur ein- oder zweimal begegnet. Das Verhältnis der Anzahl unterschiedlicher Wörter zur Gesamtzahl aller Wörter in einem Text ist dabei ein Indikator für die „Reichhaltigkeit“ eines Textes. Denn es gibt an, ob in einem Text nur bekannte oder auch viele neue, unbekannte Wörter vorkommen.
Bücher geben mehr Anregung als Alltagssprache
Vergleicht man nun verschiedene sprachliche Kommunikationsformen miteinander, wie zum Beispiel Gespräche zwischen Erwachsenen und Kindern, Fernsehsendungen und Kinderbücher, dann fällt auf, dass (Kinder-)Bücher ein wesentlich höheres lexikalisches Anregungspotenzial haben als andere Textsorten. Viele Alltagsgespräche („Und – wie war es heute in der Schule?“) sind nicht sehr komplex und drehen sich meist um bereits bekannte Dinge.
Wenn es darum geht, Neues zu lernen und unbekannten Wörtern zu begegnen, geht also kein Weg am Bücherlesen vorbei. Auch ist klar, dass sich verschiedene Arten von Kinderbüchern hier sehr unterscheiden können.
Dr. Sascha Schroeder / Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Stand: 06.03.2015