Wenn es um die Entschlüsselung der Vergangenheit geht, nehmen Archäologen nicht nur Knochen und Ruinen, sondern auch Pflanzenreste zu Hilfe. Die Archäobotanik gibt Aufschluss über die frühere Beschaffenheit der Vegetation und über Fragen der Ernährung, indem sie sogenannte Makroreste, also Samen, Früchte und Holz, oft in verkohltem Zustand, untersucht – oder aber in jüngerer Zeit auch Mikroreste wie Stärkekörner von Getreide und Pflanzenknollen.
„Pflanzensteine“ geben Auskunft
Für die Bestimmung archäobotanischer Funde existiert in Frankfurt inzwischen eine einzigartige Vergleichssammlung moderner Pflanzen. Katharina Neumann kümmert sich auch um „Phytolithe“, also „Pflanzensteine“: Das sind Silikatablagerungen, die in Form von Kieselsäure im Boden vorkommen, von Pflanzen aufgenommen werden und sich im Gewebe ablagern und fest werden. Stirbt die Pflanze, bleibt dieses Silikat übrig und gibt Auskunft über die Geschichte der Pflanze.
Durch die Analyse dieser winzigen Teilchen können sich die Archäologen mithilfe der Archäobotanik ein Bild von Aktivitätszentren machen: Wurde auf einem Platz Vieh gehalten, gibt es also Dungablagerungen? Oder handelt es sich um den Fußboden eines Hauses? Wird etwas Besonderes gefunden, etwa ein Hausgrundriss, sind die Archäobotaniker stets mit im Boot.
Auch zu einer der Hauptfragen der vorgeschichtlichen Archäologie konnte die Archäobotanik einen wichtigen Beitrag leisten: Wie kam es zu gezieltem Anbau von Pflanzen, zu Sesshaftigkeit und Viehzucht? Lange Zeit waren die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass diese drei Neuerungen etwa zur gleichen Zeit auftraten – im so genannten „Neolithischen Bündel“. Dies war nach heutigen Erkenntnissen jedoch nur bei den frühesten neolithischen Kulturen Mitteleuropas der Fall.
Weizen und Co kamen erst später
Mithilfe der Archäobotanik haben Forscher herausgefunden, dass Getreide im Nahen Osten erst viel später gezielt angebaut wurde als bisher angenommen – lange, nachdem die Menschen sesshaft wurden. Woraus lässt sich das schließen? Für die Archäobotaniker beginnt der planvolle Anbau mit dem Getreide, dessen Ähren bei der Reife nicht auseinanderfallen und die sich somit besser ernten lassen. Die Menschen haben sich die zufällige Mutation für eine effektivere Ernte zunutze gemacht.
»Diese Entwicklung zum Feldbau war mit großen gesellschaftlichen Veränderungen verbunden: Auf einmal gab es Reiche und Arme – und natürlich auch soziale Spannungen«, erklärt Katharina Neumann die Bedeutung dieser Erkenntnis. Der Übergang vom Jäger und Sammler zur Landwirtschaft war ein allmählicher Prozess. Das konnte die Archäobotanikerin Astrid Stobbe auch bei Grabungen im Ural nachweisen: Dort hielten die Menschen bereits Vieh, sammelten aber weiterhin Wildpflanzen für ihre Ernährung. Auch in Fernost gab es lange Zeit keine Kulturpflanzen, obwohl die Menschen bereits in festen Siedlungen lebten.
Anke Sauter / Forschung Frankfurt
Stand: 08.05.2015