Antikörper, auch als Immunglobuline bezeichnet, sind eine raffinierte und äußerst ressourcensparende Erfindung der Natur. Denn ihr standardisierter Aufbau macht es dem Körper leicht, schnell große Mengen davon zu produzieren. Gleichzeitig aber sorgen veränderliche Komponenten dieser Proteine dafür, dass sie passgenau auf spezifische Gegner zugeschnitten werden können.
Ein „Y“ mit vielseitigen Aufgaben
Der Grundaufbau ist bei allen Antikörpern gleich: Sie bestehen aus zwei längeren, etwa in der Mitte winklig abgeknickten Peptidketten. Sie geben den Immunglobulinen ihre typische Y-Form. Außen an den vorderen Enden dieser schweren Ketten sitzt jeweils eine leichtere und kürzere Peptidkette. Der von beiden Ketten gebildete vordere Teil des Antikörpers ist der für die spezifische Erregerabwehr entscheidende, denn hier sitzt die Antigen-Bindungsstelle.
Diese Bindungsstelle, auch als Paratop bezeichnet, ist die Struktur, mit der der Antikörper an ein virales Protein andocken kann – quasi der Schlüssel zum Schloss des Virus. Wenn der Antikörper damit an das Virus bindet, blockiert er einerseits bestimmte Funktionen dieses viralen Proteins. Gleichzeitig aber wirkt das nach außen herausragende Ende des Antikörpers wie ein ausgestreckter Arm, an dem nun Abwehrzellen des Immunsystems das Virus packen und unschädlich machen können.
Während das Vorderende der Antikörper hochvariabel und erregerspezifisch ist, gibt es für ihren geraden „Stiel“ nur eine Handvoll von Strukturvarianten. Sie bestimmen, welcher Sorte von Immunglobulinen dieser Antikörper angehört.
IgM und IgG-Antikörper
Am wichtigsten für die Abwehr von Coronavirus und Co sind zwei Antikörpertypen, Immunglobulin M (IgM) und Immunglobulin G (IgG). Die IgM-Antikörper sind bei einer Infektion als erstes am Start – sie werden schon nach wenigen Tagen vom Immunsystem gebildet, sind allerdings noch nicht sonderlich passgenau auf das Virus zugeschnitten. Deshalb können sie sich an mehrere ähnliche Proteinstrukturen und Bindungsstellen anlagern. Weil diese Immunglobuline aber aus fünf Y-Untereinheiten bestehen, haben sie besonders viele Anlagerungsstellen und tragen so dazu bei, die Viren zu „verkleben“.
Deutlich spezifischer und „schärfer“ sind dagegen die IgG-Antikörper, die etwa ab drei Wochen nach Infektionsbeginn produziert werden. Ihre Bindungsstelle passt jeweils nur auf ein einziges Epitop und damit einen bestimmten Teil eines viralen Oberflächenproteins.
Auch Antikörper müssen „reifen“
Weil bei einer Infektion aber zunächst viele leicht unterschiedliche Epitope als Schablone für Antikörperfabriken dienen, produzieren die verschiedenen Plasmazellen anfangs verschiedene Varianten solcher IgG-Antikörper. Erst im Verlauf der Infektion „lernt“ die Immunabwehr, welche IgG-Antikörper am effektivsten gegen das Virus wirken. Virologen bezeichnen diesen Prozess als Aviditätsreifung.
„Man kann sich das vielleicht am besten übersetzen mit dem Begriff Gierigkeit: Wie gierig ist so ein Antikörper nach dem Protein des Erregers? Mit welcher Gier bindet er diesen Erreger?“, erklärte Christian Drosten von der Berliner Charité das Prinzip jüngst in seinem Podcast. Sowohl IgM- als auch IgG-Antikörper sind anfangs noch wenig avide, steigern ihre „Gier“ nach dem passenden Virusantigen aber im Laufe der Zeit.
Zustande kommt dieser Lerneffekt durch eine Selektion: „Das ist letztendlich ein biologischer Optimierungsprozess, in dem bestimmte Klone von Antikörper produzierenden Zellen bevorzugt werden“, so Drosten. Die Mastzelllinien, die die avidesten und an der anfälligsten Stelle des Virus ansetzenden Antikörper produzieren, werden bevorzugt gebildet und setzen sich am Ende durch.
Schutz durch das Immungedächtnis
Diese IgG-Antikörper sind es auch, deren Bauanleitung dauerhaft gespeichert und bei einem Zweitkontakt mit dem Virus wieder abgelesen wird. Der große Vorteil dabei: Die Massenproduktion neuer Antikörper dieses Typs dauert dann nur wenige Stunden. So kann das Immunsystem die eingedrungenen Viren schnell und gezielt unschädlich machen, bevor sie sich in größerem Maße im Körper vermehren können – eine erneute Infektion ist abgewehrt.
Dieses Immungedächtnis sorgt dafür, dass wir beispielsweise nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion nicht noch einmal an Covid-19 erkranken können. Das Coronavirus wird so schnell von den passgenauen Antikörpern neutralisiert, dass es sich nicht im Körper etablieren kann. Wir sind immun. Wie lange diese Immunität anhält, ist allerdings für SARS-CoV-2 noch nicht geklärt. Ausgehend von Erfahrungen mit verwandten Coronaviren gehen Forscher allerdings davon aus, dass dieser Immunschutz mindestens einige Monate, vielleicht sogar einige Jahre erhalten bleibt.