Neurowissenschaften

Was unsere Kreativität hemmt

Ohne Ruhe und Muße geht es nicht

Ob wir unserer Kreativität freien Lauf lassen können, hängt jedoch auch von den äußeren Umständen ab. „Kreativität ist nicht etwas, das man entweder hat oder nicht hat“, sagt der Neurowissenschaftler Roger Beaty von der Harvard University. Wenn uns einfach keine guten Ideen kommen wollen, dann kann dies auch an der aktuellen Situation und ganz konkreten Störfaktoren liegen. Denn es gibt einige Dinge, die unsere Kreativität hemmen können.

Musikhören
Musikhören ist nicht förderlich für die Kreativität. © Circle Creativ Studio/ iStock

Musikhören macht nicht kreativer

Einer dieser Faktoren ist überraschenderweise Musik. Zwar setzen viele Menschen auf Hintergrundmusik, um ihr kreatives Denken anzuregen. Doch ob das Musikhören und generell Geräusche die Kreativität tatsächlich fördern oder eher hindern, ist strittig. Eine Studie dazu führte ein Team um Emma Threadgold von der University of Leicester im Jahr 2019 durch. Dafür hörten Testpersonen verschiedene Arten von Musik, typische Bibliotheksgeräuschen oder Stille, während sie gängige Tests der konvergenten Kreativität absolvierten.

Es zeigte sich: Sobald Musik lief, sanken die kreativen Leistungen der Testpersonen messbar ab. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Musik instrumentell war oder Gesang enthielt und ob die Stücke den Probanden bekannt waren oder nicht. Die Hintergrundmusik besserte zwar die Stimmung und das subjektive Wohlbefinden, hemmte aber offenbar die Kreativität. Als besonders störend erwiesen sich dabei Musikstücke mit stärker wechselnden Harmonien, Tonfolgen oder Rhythmen.

Aber warum? Threadgold und ihre Kollegen vermuten, dass diese musikalischen Reize das Gehirn vor allem den exekutiven, einordnenden Teil des kreativen Prozesses stören. Weil das Arbeitsgedächtnis nebenbei mit der Musik beschäftigt ist, gelingt es unserem Gehirn nicht mehr so gut, die aus dem semantischen Gedächtnis eingesammelten Ideen und Informationen sinnvoll zu sortieren und zusammenzufügen. „Alles in allem stellen unsere Ergebnisse die gängige Annahme in Frage, dass Musik die Kreativität steigert“, so Threadgood.

Zeitdruck
Auch Zeitdruck hemmt das kreative Denken. © coffeekai/ Getty images

Zeitdruck blockiert die Kreativität

Noch eindeutiger und hemmender wirkt sich jedoch ein anderer Faktor auf unsere Kreativität aus: Zeit- und Erfolgsdruck. Sie blockieren vor allem die Geistesblitze, denen wir viele kreative Ideen verdanken. „Diese Einsichten sind unbewusst und automatisch, man kann sie nicht drängen“, erklärt John Kounios von der Drexel University. „Der dahinterstehende Prozess benötigt seine eigene Zeit und erst wenn unser Unterbewusstsein alle Punkte verbunden hat, poppt die Lösung in unserem Bewusstsein als Aha-Moment auf.“

Kein Wunder daher, dass Testpersonen in den Experimenten von Kounios und seinen Kollegen unter Zeitdruck weniger kreativ waren. Bei Wortfindungstests und visuellen Puzzles schnitten sie schlechter ab und lagen häufiger falsch. Letzteres hängt damit zusammen, dass Probanden unter Zeitdruck eher versuchen, die Lösung durch rein analytisches Denken oder Raten zu finden. Beides ist aber bei kreativen Aufgaben weniger erfolgversprechend.

„Angst verschiebt unser Denken von kreativen Einsichten hin zum analytischen Denken“, erklärt Kounios. „Deshalb sind Terminvorgaben zwar sinnvoll, um Aufgaben rechtzeitig abzuschließen, wenn aber kreative Ideen gefragt sind, ist es günstiger, einen flexiblen Zeitrahmen zu haben.“

Muße ist wichtig für die Innovationskraft

Dieser Effekt könnte möglicherweise auch erklären, warum die Innovationskraft in Wissenschaft und Technik in den letzten Jahrzehnten messbar abgenommen hat: Der Zeit- und Erfolgsdruck in Forschung und Technologieentwicklung ist heute viel höher als früher, wer nicht ständig Fachartikel publiziert oder Patente einreicht, bekommt schnell keine Gelder mehr oder macht keine Karriere. Dadurch fehlt die Muße, in Ruhe über kreative Lösungen nachzudenken und auch mal abseitigen Ideen nachzugehen.

Mit anderen Worten: Zeitdruck verengt den Fokus und hemmt die Prozesse, durch die wir kreative Ideen bekommen – das Schweifenlassen der Gedanken, das Ausprobieren auch ungewöhnlicher Ansätze und das Denken „Out of the Box“. Wie kreativ wir sind, hängt demnach nicht nur von unseren ureigenen kreativen Fähigkeiten und der Arbeitsweise unseres Gehirns ab, sondern sind immer auch von unseren Umständen und unserer Situation beeinflusst. Sie können unsere Kreativität fördern und zur Blüte bringen, sie aber auch unterdrücken.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter
Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Das Geheimnis der Kreativität
Wie funktioniert kreatives Denken – und wie können wir es fördern?

Was ist Kreativität?
Von schöpferisch bis "Out of the Box"

Die Wurzeln des Kreativseins
Warum Geistesblitze glücklich machen

Suchen, finden und sortieren
Was passiert beim kreativen Denken unserem Gehirn?

Edisons Rezept
Wie kann man seine Kreativität fördern?

Was unsere Kreativität hemmt
Ohne Ruhe und Muße geht es nicht

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Synästhesie - Das Geheimnis der „Farbenhörer“ und „Wörterschmecker“