Entscheidend für eine wirksame Reaktion auf einen Biowaffenanschlag sind vor allem zwei Dinge: eine schnelle Diagnose und sofortige effektive Maßnahmen. Doch auf beiden Gebieten hapert es in vielen Staaten zur Zeit noch gewaltig. Eine rasche und eindeutige Diagnose setzt die entsprechende Kompetenz seitens der Mediziner voraus. Die behandelnden Ärzte müssen die Anzeichen für die betreffende Krankheit kennen und eine entsprechende Infektion überhaupt in Betracht ziehen.
Gerade bei den in der Natur nicht oder extrem selten vorkommenden Krankheiten ist dies in der Regel nicht der Fall. Für eines der gefährlichsten Gifte überhaupt, das Botulinum Toxin, konstatiert beispielsweise die American Medical Association (AMA): „Eine Früherkennung eines Botulismusausbruchs, sei es natürlich oder absichtlich verursacht, hängt von einem erhöhten klinischen Misstrauen ab.“
Dass es mit diesem „klinischen Misstrauen“ in der Regel nicht weit her ist, zeigt der Fall eines Ausbruchs Ende der 1980er Jahre in Kanada: Nach Genuss von verdorbenem Essen in einem Restaurant erkrankten 28 Menschen an Botulismus. Die durch das Gift hervorgerufenen Lähmungen wurden von Ärzten in den verschiedenen Wohnorten der Gäste zunächst als Symptome von Schlaganfall, Hysterie, Überanstrengung, einer viralen Infektion oder von Erkrankungen des Zentralnervensystems wie Guillain Barré-Syndrom oder Myastena gravis gedeutet. Nur eine Patientin wurde korrekt diagnostiziert. Hätte es sich bei diesem Ausbruch nicht um Botulismus sondern um eine ansteckende Krankheit gehandelt, hätten bis zu diesem Zeitpunkt bereits hunderte oder tausende Menschen infiziert sein können.
In den USA und Europa haben die Gesundheitsbehörden inzwischen auf solche Missstände reagiert. In Londoner Kliniken fanden im November und Dezember 2002 mehrfach Übungen für den Ernstfall statt, staatliches Klinikpersonal und Ärzte erhielten gezielte Schulungen zu biologischen Kampfstoffen und dem Umgang mit Bioterroropfern. Auch in Deutschland laufen die Vorbereitungen für entsprechende Lehrgänge auf Hochtouren. Hessen will bereits in den nächsten Monaten spezielle Weiterbildungen zu Pockenimpfung und -behandlung für alle Ärzte anbieten, die bestehenden Katastrophenpläne werden um das Kapitel Katastrophenmedizin ergänzt.
Doch selbst wenn die Ärzte den richtigen Riecher haben sollten, kann bis zu einer eindeutigen Diagnose noch kostbare Zeit vergehen: Für viele der in Biokampfstoffen verwendeten Erreger und Gifte existieren nach wie vor keine oder kaum Schnelldiagnosemethoden. Im Falle einer Pestinfektion dauert es beispielsweise mindestens sechs Tage, bis eine Identifikation möglich ist und selbst dann kann es noch „übersehen“ werden“, so ein Bericht der amerikanischen Medizinischen Gesellschaft (AMA). Für Botulismus Toxin oder Tularämie ist eine Diagnose oft nur in wenigen Laboratorien möglich.
Und auch im Falle einer korrekten und schnellen Erkennung bleibt die Frage zu klären, ob es sich um „den Ernstfall“ im Sinne eines bioterroristischen Anschlags oder aber um eine durch natürliche Ursachen ausgelöste Infektion handelt. Anhaltspunkte für diese Entscheidung kann in einigen Fällen der Erreger selbst liefern, meist jedoch sind es der Krankheitsverlauf und die Epidemiologie, die sich unterscheiden. Häufig ist die Inkubationszeit bei Biokampfstoffen geringer und die Infektion schreitet schneller voran. Doch bis all dies analysiert und geklärt ist, vergeht Zeit…
Die USA haben inzwischen ein neues Monitoringsystem entwickelt, das erkennen soll, ob bestimmte Pathogene wie Anthrax, Pocken und weitere potenziell tödliche Erreger in der Luft vorhanden sind. Es baut auf den 3.000 Messstationen des bereits bestehenden Luftüberwachungssystems der amerikanischen Umweltbehörde auf. Die Stationen sind direkt mit 120 Analyselabors und über diese auch mit den Centers of Disease Control (CDC) verbunden. Nach Angaben von Regierungsvertretern soll damit ein Ergebnis innerhalb von zwölf bis 24 Stunden vorliegen können.
Wie effektiv „Bio-Watch“ im Ernstfall aber tatsächlich wäre, bleibt abzuwarten. Fest steht bereits jetzt, dass es die Anthrax-Brief-Anschläge des Jahres 2001 nicht registriert hätte und auch für Freisetzungen in U-Bahnen oder anderen geschlossenen Räumen ist das System blind.
Auch in Deutschland laufen mittlerweile Untersuchungen, unter anderem durch die Universität Duisburg, wie sich bestehende Luftüberwachungsysteme in öffentlichen Gebäuden so umrüsten lassen, dass sie auch vor biologischen und chemischen Kampfstoffen warnen können. Zurzeit sind allerdings gerade potenziell gefährdete Bereiche wie Einkaufszentren, Regierungsgebäude oder U-Bahnhöfe meist nicht mit solchen Systemen ausgerüstet.in Zusatzprotokoll zu ergänzen. Dieses soll eine Offenlegungspflicht und ein eindeutig geregeltes Überprüfungs- und Kontrollsystem festschreiben und damit effektivere Maßnahmen gegen geheime Offensivprogramme ermöglichen. Doch im Jahr 2001 lehnte die Bush-Administration das ganze Vorhaben komplett ab und sperrt sich seither beharrlich gegen jeden weiteren Versuch. Im November 2002 ging aus dem gleichen Grund die Überprüfungskonferenz zur Biowaffenkonvention ohne formelle Abschlusserklärung zu Ende. Fortschritte sind daher auf Bestreben der USA hin frühestens 2006 zu erwarten – wenn überhaupt.