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Klima

Was wäre wenn…

Welche Folgen hätte ein Ausfall der "Fernheizung"?

Die atlantische Umwälzpumpe ist schon jetzt messbar schwächer als noch vor 100 oder 150 Jahren. Doch was passiert, wenn dieser Strömungsmotor weiter nachlässt oder sogar ganz ausfällt? Welche Folgen hätte dies für den wärmenden Nordatlantikstrom und für das Klima in Europa? Droht gar eine „neue Eiszeit“?

Meeresspiegel und AMOC
Korrelation zwischen Schwächephasen von Golfstrom und Ekman-Strom – beide hängen mit der AMOC zusammen – und einem erhöhten Meeresspiegel in Baltimore und Norfolk an der US-Ostküste. © Ezer et al., 2024/ Ocean Dynamics, CC-by 4.0

Pegelanstieg im Osten

Welche konkreten Folgen eine weitere Abschwächung der Umwälzströmung hätte, ist bisher fast ebenso strittig wie die Frage, ob die AMOC kollabieren wird. Dennoch lassen sich in Klimamodellen einige sehr wahrscheinliche Entwicklungen vorhersagen. „So wissen wir zum Beispiel, dass ein Zusammenbruch der AMOC den Meeresspiegel an der Ostküste der USA um bis zu mehrere Dezimeter ansteigen lassen könnte“, berichtet Levke Caesar vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen.

Der Grund: Zurzeit erzeugt das kombinierte Strömungssystem aus Golfstrom und Nordatlantikstrom noch eine Sogwirkung, durch die Wasser von der US-Ostküste wegtransportiert wird. Fehlt dieser Sog, schwappt das Wasser zurück und die Pegel steigen an. Für die schon jetzt verstärkt von Überschwemmungen und Sturmfluten gefährdeten Küsten und Ballungsräume wie Washington DC und New York wären das keine guten Nachrichten.

Packeis bis auf die Höhe von Mainz?

Parallel dazu werden sich Wasser und Luft im Nordatlantikraum deutlich abkühlen. „Wenn die nordatlantische Umwälzströmung kollabiert, würde das arktische Meereis im März bis zum 50. nördlichen Breitengrad hinunterreichen“, berichten René van Westen von der Universität Utrecht und seine Kollegen in ihrer Studie vom Februar 2024. Das bedeutet: Die winterliche Packeisgrenze läge im Atlantik etwa auf der Höhe von Südengland oder der deutschen Stadt Mainz.

„Diese enorme Ausdehnung des Meereises auf der Nordhalbkugel wird die Abkühlung dieser Hemisphäre durch die hohe Albedo des Eises weiter verstärken“, schildern van Westen und sein Team die weiteren Folgen. „Vor allem das Klima in Europa wäre durch den AMOC-Kollaps stark betroffen.“ Ihren Schätzungen nach könnten die Jahresmitteltemperaturen nach dem Stopp der Umwälzpumpe um rund ein Grad pro Jahrzehnte absinken. In Nordeuropa, beispielsweise der norwegischen Stadt Bergen könnten es sogar 3,5 Grad pro Dekade sein.

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Abkühlung
René van Westen und sein Team prognostizieren einen deutlichen Temperaturabfall in Europa bei einem Kollaps der AMOC. © Universität Utrecht

Wie weit sinkt die Temperatur?

Was aber bedeutet dies? Würde Europa dann tatsächlich eine neue Eiszeit erleben? Über diese Frage herrscht Uneinigkeit. Während van Westen und sein Team für Teile Nordeuropas eine extreme Abkühlung um bis zu 15 Grad prognostizieren, halten andere Klimaforscher dies für deutlich übertrieben: „Bei den extremsten Kälteeinbrüchen der letzten Eiszeit, den Dansgaard-Oeschger-Ereignissen, gab es tatsächlich Schwankungen bis zu 15 Grad innerhalb einiger Jahrzehnte, allerdings lokal in Grönland und ganz sicher nicht als Mittelwert der nördlichen Hemisphäre. Das ist ein riesiger Unterschied“, kommentiert beispielsweise Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Unklar ist zudem, wie stark der aktuelle Klimawandel dieser Abkühlung entgegenwirkt. Denn van Westen und sein Team haben die Erderwärmung in ihrer Simulation komplett ausgeklammert – sie gingen von präindustriellen CO2-Werten aus. Für realistischer halten Boers und andere Kollegen daher eine Abkühlung von zwei bis fünf Grad in Mitteleuropa und nur etwas mehr im Norden Europas. „Es würde nach unserem aktuellen Verständnis auch sicherlich 50 Jahre dauern, eher länger, bis sich die Auswirkungen zeigen“, so Boers.

Vom Eis blockierte Häfen und Winterstürme

Dennoch könnte selbst eine im Mittelwert gemäßigte Abkühlung in Kombination mit dem vorrückenden Meereis schwerwiegende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen: Im Winter könnte der größte Teil der britischen und skandinavischen Seehäfen zufrieren, dadurch käme der Schiffsverkehr dort zum Erliegen – und damit auch ein wichtiger Teil des europäischen und globalen Seehandels. In den heute wegen ihres milden Klimas fruchtbaren Regionen Westeuropas und Großbritanniens wäre durch die Abkühlung mit drastischen Ernteausfällen zu rechnen.

Weil eine starke AMOC-Abschwächung auch den Wärmetransport und die großräumigen Luftströmungen verändert, hätte dies auch Auswirkungen auf Wetterextreme in Europa. So könnten sich die Zugbahnen von Sturmtiefs verlagern, so dass Stürme künftig häufiger über unsere Region hinwegziehen. Zudem prognostiziert ein Team um James Hansen von der Columbia University parallel dazu eine Verstärkung der Sturmintensitäten vor allem im Winter. Auslöser dafür sind demnach verstärkte Temperaturgradienten über dem Atlantik, die Windgeschwindigkeiten erhöhen und winterliche „Super-Zyklone“ fördern.

Das Hitzewellen-Paradox

Paradoxerweise könnten wir bei uns in Mitteleuropa trotz der allgemeinen Abkühlung auch vermehrt ins Schwitzen kommen. Denn der abgeschwächte Wärmeeinstrom in den Nordatlantik erzeugt auch Wettermuster, die sommerliche Hitzewellen in unseren Breiten begünstigen, wie ein Forschungsteam Ende 2023 ermittelte. Demnach gelangen dann vermehrt sommerliche Hochdruckgebiete zu uns, die heiße Temperaturen mit sich bringen. Parallel dazu dringt durch die veränderten Luftströmungen häufiger heiße Luft aus dem Mittelmeerraum nach Norden.

„Aber die AMOC beeinflusst nicht nur Europa und die USA, sondern auch die Äquatorregion und scheint insbesondere Einfluss auf die Niederschlagswahrscheinlichkeit und -menge in Teilen Afrikas und Asiens zu haben“, erklärt Levke Caesar. „Damit gibt es eine große Zahl von Menschen, die von einer schwächeren AMOC beeinflusst würden. Im Großen und Ganzen gibt es aber noch einigen Forschungsbedarf, um den Einfluss einer AMOC-Abschwächung auf globaler und lokaler Ebene besser zu quantifizieren.“

Doch wie realistisch ist die Gefahr eines kompletten Umkippens der Umwälzströmung? Und wann würde dies drohen?

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Kippt der Nordatlantikstrom?
Wie gefährdet ist die "Fernheizung Europas"?

Das Förderband des Meeres
Wie ein Strömungssystem unser Klima prägt

Die Pumpe schwächelt
Warum die AMOC langsamer wird

Die Frage des Kipppunkts
Droht ein Ausfall der Umwälzpumpe?

Was wäre wenn…
Welche Folgen hätte ein Ausfall der "Fernheizung"?

Wie akut ist die Lage?
Der Streit um das "Wann" des AMOC-Kipppunkts

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