Deutschland verfügt nicht nur über lithiumhaltige Erze, auch in gelöster Form kommt das „weiße Gold“ bei uns vor: Die Tiefenwässer des Oberrheingrabens bilden die größte Lithiumressource Europas. Schätzungen zufolge könnten dort insgesamt 16 Millionen Tonnen Lithiumäquivalente gelöst sein – und sie könnten sich deutlich einfacher und lukrativer fördern lassen als Lithium aus festen Erzen.
Genug Lithium für eine Million Batterien pro Jahr
Der Grund: Entlang des Oberrheingrabens stehen bereits mehrere Geothermieanlagen, die das warme, salzhaltige Tiefenwasser zur Strom- und Wärmegewinnung nach oben pumpen. Pro Jahr strömen dort bis zu zwei Milliarden Liter Thermalwasser durch die Leitungen. Chemischen Analysen zufolge liegt der Lithiumanteil dieser Thermalwässer bei 160 bis 190 Milligramm pro Liter. „Wenn wir dieses Potenzial konsequent nutzen, dann könnten wir in Deutschland einen erheblichen Teil unseres Bedarfs decken“, sagt der Geowissenschaftler Jens Grimmer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Schätzungen zufolge könnten über das geothermische Tiefenwasser pro rund 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid aus dem Tiefenwasser des Oberrheins gewonnen werden. „Damit ließen sich abhängig von Batteriegröße und Art der Batterie rund eine Million Elektroautos ausstatten“, sagt der Geologe Horst Kreuter, Vorstand des eigens zur Lithiumgewinnung aus diesem Wasser gegründeten Unternehmens Vulcan Energie. Das wäre genug, um den voraussichtlichen Bedarf der deutschen Batterieproduktion zu decken.
Direkte Extraktion statt Verdunstung
Die nötige Technologie dafür gibt es bereits. Anders als bei der klassischen Lithiumgewinnung aus Sole kommen dabei elektrochemische Methoden der direkten Lithiumextraktion (DLE) zum Einsatz. „Sie sind schneller als die klassischen Verdunstungsmetoden und vermeiden die Nutzung von Chemikalien, den Wasserverbrauch und die Produktion von Abfallstoffen“, erklärt Ernesto Calvo von der Universität Buenos Aires. Stattdessen wird das Lithium durch Ionentauscher, spezielle Adsorbermaterialien und den Einsatz von Elektroden und semipermeablen Membranen von anderen Salzen getrennt.
Am Oberrheingraben werden solche Verfahren zurzeit schon in zwei Pilotanlagen getestet, mehrere weitere Extraktionsanlagen sind im Bau oder geplant. Eine davon steht am Geothermie-Kraftwerk Insheim in Rheinland-Pfalz, das vor kurzem von Vulcan Energie übernommen wurde. Ziel der Firma ist es, Lithium klimaneutral und nachhaltig aus dem Geothermiewasser zu gewinnen. „Der Prozess der direkten Lithiumextraktion ist zwar bekannt und großtechnisch umgesetzt“, erklärt Kreuter. Der Prozess müsse aber an die spezifische Zusammensetzung des Tiefenwassers im oberrheingraben angepasst werden.
Insheim: Lithium ohne CO2-Emissionen
Für das „Zero-Carbon-Lithium“ wird das Wasser in der Pilotanlage Insheim zunächst durch eine Extraktionsanlage geleitet. Dort werden unerwünschte Elemente wie Natrium und Kalium mittels Adsorbermaterialien herausgefangen. Es entsteht eine weitgehend reine Lithiumchloridlösung – laut Kreuter erreichte der Lithiumertrag bei ersten Tests gut 90 Prozent. Im nächsten Schritt wird das Lithiumchlorid mittels Elektrolyse in Lithiumhydroxid umgewandelt. Eine erste Anlage dafür soll im Chemiepark Frankfurt-Höchst entstehen.
Das so erzeugte Lithiumhydroxid soll nach Angaben von Kreuter so rein sein, dass es direkt für die Batterieproduktion der Automobilindustrie verwendet werden kann. Die Produktionskosten seien zudem mit gut 2.600 Euro pro Tonne Lithiumhydroxid deutlich geringer als bei der klassischen Gewinnung aus Sole oder Festgestein. Bereits 2023 will Vulcan die erste großtechnische Anlage zur Lithiumextraktion am Rheingraben in Betrieb nehmen, ab 2024 soll dann Lithiumhydroxid an die Autoindustrie geliefert werden. Reges Interesse von Seiten der künftigen Abnehmer gibt es bereits: Mit Renault, Volkswagen, dem Opel-Mutterkonzern und dem Batteriehersteller LG Chem existieren bereits Lieferverträge.
Bruchsal: Ionensieb als Lithiumfänger
Auch andere Akteure haben das Potenzial der Lithiumgewinnung im Zuge der Geothermie erkannt. In Bruchsal wird der Stromkonzern EnBW gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ebenfalls eine Pilotanlage zur Lithiumextraktion installieren. Dort soll das Lithium mithilfe eines Ionensiebs aus der Sole abgetrennt werden. Dieses Sieb besteht aus Manganoxiden, die selektiv Lithiumionen binden, während andere Salze ungehindert mit dem Wasser hindurchströmen. Das gebundene Lithium wird anschließend chemisch vom Manganoxid abgelöst und zu Lithiumhydroxid umgewandelt.
„Unsere Bruchsaler Anlage arbeitet in einem geschlossenen Kreislauf. Das bedeutet, dass weder Gase noch Flüssigkeiten an die Umwelt abgegeben werden“, betont Geothermie-Experte Thomas Kölbel von der EnBW. Das aus der Tiefe geförderte Wasser wird nach der Lithiumextraktion wieder in den Untergrund zurückgepumpt – wie bei den normalen Geothermieanlagen auch.
Mit der Pilotanlage wolle man zeigen, dass man auch im industriellen Maßstab eine nachhaltige und umweltverträgliche Produktion umsetzen könne. Im Labor laufen die Prozesse mit etwa 85- bis 95-prozentiger Effizienz, im Realbetrieb wird eine Effizienz von etwa 70 Prozent. Bei rund 8 000 Betriebsstunden jährlich könnten dann allein in der Geothermieanlage Bruchsal genügend Lithium für etwa 20.000 Batterien gewonnen werden. Weil das Lithium quasi als Nebenprodukt der Geothermie anfällt, ist dies nach Einschätzung von Kölbel und seinem Team profitabel.