Fakt ist: Mit Eingriffen in das Gehirn können wir unsere Persönlichkeit verändern. Das kann gewollt sein, insbesondere bei der Therapie von psychiatrischen Erkrankungen. Komplizierter wird es, wenn diese Veränderungen eine ungewollte Nebenwirkung sind, wenn wir beispielsweise durch implantierte Elektroden andere oder neue Charakterzüge entwickelten oder uns ungewöhnlich verhalten. Beobachten lässt sich dies schon jetzt bei Patienten, die gegen Parkinson oder schwere Depressionen eine Tiefe Hirnstimulation erhalten.
Wird das Gehirn durch die Elektroden gereizt, lassen sich bei der Tiefen Hirnstimulation fast immer Persönlichkeitsveränderungen feststellen, die manchmal subtil sind, bisweilen aber auch gravierend. Depressionen, die die Patientin oder der Patient vorher nicht hatte, können ebenso auftreten wie starke Euphoriezustände, die vorher eher vernünftige Personen beispielsweise zu waghalsigen Finanzaktionen animieren.
Durch Hirnstimulation euphorisiert
Der Medizinethiker Walter Glannon beschreibt den Fall eines Patienten, der nach der Tiefen Hirnstimulation derartig verhaltensauffällig euphorisiert war, dass ihn seine Familie nicht mehr als denselben wiedererkannt hat. Der Patient selbst fühlte sich in diesem Zustand aber sehr zufrieden. Denn es wurden nicht nur die Parkinson-Symptome unterdrückt, sondern er fühlte sich durch die – die Stimulation begleitende – Euphorie auch „glücklicher“.
Als entschieden werden musste, ob er psychiatrisiert werden sollte, weil er nicht mehr alleine leben konnte, entstanden folgende Dilemmata: Soll man den Patienten vor oder nach der Stimulation zu seiner Entscheidung befragen? Welcher Zustand der Person ist der maßgebliche? In welchem Zustand kann selbstverantwortlich entschieden werden? Aber auch die Rolle der Angehörigen und das Gesundheitssystem spielen hier eine Rolle: Wie viel „Entfremdung“ müssen die Angehörigen akzeptieren? Soll die Gemeinschaft die Kosten für den Aufenthalt in der Psychiatrie übernehmen?
Mein „Ich“ mit und ohne Technik
Dies ist sicher eine Grenzsituation, die zum Glück nur sehr selten vorkommt. Ethisch wird in Zukunft vor allem von Bedeutung sein, die subtilen Veränderungen durch Neurotechnologien genau zu erfassen, um dann konkrete ethische Maßstäbe zu entwickeln. Dafür bedarf es der Integration verschiedener Perspektiven.
Die psychologische Messung und Beschreibung von Persönlichkeitsveränderungen ist das eine. Wir brauchen aber auch neue Beschreibungskategorien, um die spezifische Technisierung zu erfassen, die den Alltag der Patientinnen und Patienten prägt. Oft müssen sie und ihre Umwelt lernen, zwischen zwei Zuständen ihrer selbst „hin und her zu schalten“, denn die Stimulation kann per Fernsteuerung ein- und abgeschaltet werden.
PD Dr. Oliver Müller für bpb.de / CC-by-sa 3.0
Stand: 16.10.2015