Der 4.000 Jahre alte Souk von Aleppo, einst der größte überdachte Markt der Welt – niedergebrannt. Das Minarett der dortigen Umayyad-Moschee – eingestürzt. Die Ruinen der Oasenstadt Palmyra – stark beschädigt. Einzigartige Fundstücke aus der syrischen Frühgeschichte – gestohlen. Die Kämpfe in Syrien zerstören nicht nur das Leben von Tausenden von Menschen in der Region und fordern unzählige Todesopfer, sie drohen auch das gesamte kulturelle Erbe des Landes unwiederbringlich zu zerstören.
Kulturerbe zerstört
Von den sechs Stätten in Syrien, die von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft wurden, sind fünf bereits mehr oder weniger stark beschädigt, darunter die Toten Städte, die Altstädte von Damaskus und Aleppo, die Ruinen von Palmyra und die Kreuzfahrerburg Krak des Chevaliers an der Grenze zum Libanon. Sie liegen entweder in der Kampfzone oder werden als Militärstützpunkte missbraucht.
Laut UNESCO gibt es auch Berichte darüber, dass vor allem Angehörige des IS syrische Kulturschätze aus ideologische Gründen absichtlich zerstören – indem sie beispielsweise Abbildungen von Menschen zerschlagen, weil diese im Islam nicht erlaubt sind.
„Alle Schichten der syrischen Kultur werden angegriffen – darunter vorchristliche, christliche und islamische Kulturschätze“, berichten UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und UNESCO -Generaldirektorin Irina Bokova im März 2014 in einer gemeinsamen Erklärung. „Die Zerstörung dieses kostbaren Erbes beeinträchtigt die Identität und Geschichte des syrischen Volkes und der gesamten Menschheit – und wird die Fundamente der Gesellschaft über Jahre hinaus schädigen.“
Systematisch geplündert
Mindestens ebenso gravierend: Zahlreiche Grabungsstätten und Museen in Syrien, sind bereits Opfer von Plünderungen und systematischen, illegalen Ausgrabungen geworden. „Diese werden ausgeführt von gut organisierten und oft bewaffneten Gruppen, die nicht alle aus Syrien stammen“, heißt es in einem Statement. „Denn wenn Gesetz und die öffentliche Ordnung darniederliegen, ist das Plündern archäologischer Stätten und Museen für kriminelle Gruppen nicht nur einfach, es ist auch höchst profitabel.“ Der Schmuggel und illegale Verkauf der Kunstschätze dient Rebellen und IS dazu, ihre Kriegskassen zu füllen.
Wie groß das Ausmaß der Plünderungen und Schäden tatsächlich ist, bleibt unklar. Denn Informationen gelangen nur bruchstückhaft und über Umwege an die Außenwelt, wie die Vertreter der UNESCO berichten. So wurde das Museum von Homs, in dem unter anderem Fundstücke aus der Königsstadt Qatna aufbewahrt werden, bereits vor längerer Zeit ausgeraubt. In der antiken Stadt Apamea sollen mehr als 2.000 Jahre alte Fußboden-Mosaike mit Bulldozern herausgerissen und auf dem Schwarzmarkt verkauft oder gegen Waffen getauscht worden sein. Das Museum von Raqqa mit Figuren und Kunstschätzen aus der Bronzezeit und viele weitere wurden ebenfalls geplündert.
Weitgehend machtlos
Solange der Bürgerkrieg anhält, bleiben Archäologen, der UNESCO und anderen Organisationen kaum Möglichkeiten, die syrischen Kulturgüter zu schützen. Zwar appellieren UNESCO und Interpol an die Nachbarländer, zumindest die Einfuhr von geplünderten Artefakten strenger zu überwachen und an Kunstsammler, Kunstgegenstände aus Syrien nicht zu kaufen. Der Erfolg dieser Apelle hält sich bisher aber eher in Grenzen.
Im Mai 2014 beschloss die UNESCO, in Beirut im Libanon ein Zentrum einzurichten, von dem aus der Zustand der syrischen Kulturdenkmäler überwacht werden soll. In Syrien selbst soll die nationale Kampagne „Save Syria’s History“ die Bevölkerung für die Bedrohung ihres kulturellen Erbes sensibilisieren – ob das angesichts sehr viel elementarerer Bedrohungen fruchtet, bleibt abzuwarten.
Nadja Podbregar
Stand: 12.09.2014