Es wird voll im Erdorbit: Wenn alle bisher geplanten Mega-Konstellationen umgesetzt werden, könnten bald bis zu 100.000 Satelliten in der Erdumlaufbahn kreisen – ein Vielfaches der bisher rund 2.500 „normalen“ militärischen und zivilen Satelliten. Das weckt in mehrfacher Hinsicht große Bedenken bei Raumfahrtorganisationen und Astronomen.
Kollision knapp vermieden
Wie berechtigt solche Bedenken sind, demonstrierte ein Vorfall am 2. September 2019: Die europäische Weltraumagentur ESA musste ein Ausweichmanöver mit ihrem Erdbeobachtungssatelliten Aeolus fliegen, weil eine Kollision mit einem Starlink-Minisatelliten drohte. Die Triebwerke des Aeolus wurden gezündet, seine Bahn um 350 Meter angehoben und so die Kollision knapp verhindert.
Eigentlich sollen die Starlink-Satelliten automatisch anderen Flugobjekten ausweichen, doch dies geschah wegen eines Defekts in diesem Fall nicht. Daher musste die ESA reagieren. Zwar bewahrte dies beide Satelliten vor Schäden und den Erdorbit vor einem weiteren Schwarm von Weltraumschrott und Kollisionstrümmern. Aber solche Ausweichmanöver kosten Treibstoff und funktionieren nur, wenn die Gefahr rechtzeitig erkannt wird. Schon jetzt laufen allein für jeden ESA-Satelliten im niedrigen Erdorbit pro Woche zwei Kollisions-Warnmeldungen ein.
Solche Warnmeldungen stellen zudem die Frage, ab welchem Risiko ein teures und zeitaufwändiges Ausweichmanöver nötig wird: „Wenn man schon bei einer Kollisions-Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 reagiert, würde man ständig solche Manöver durchführen. Aber bei 1:50 besteht eine reale Chance, dass man getroffen wird“, erklärte Hugh Lewis von der University of Southampton kürzlich das Dilemma. Bisher sind die Überwachungssysteme nicht präzise genug, um im Vorhinein hundertprozentig zwischen Kollision und knapp daneben zu unterscheiden.
Wer muss ausweichen?
Ein weiteres Problem: Bislang gibt es keine klaren Verkehrsregeln im Orbit: Wer wem ausweichen muss, ist nicht von vornherein klar – und auch automatisierte Protokolle für die Kommunikation der betroffenen Betreiber fehlen bisher. Hier gebe daher dringend Nachholbedarf, sagt Holger Krag, Leiter des Programms für Weltraumsicherheit bei der ESA. Denn je voller es im Erdorbit wird, desto größer ist das Kollisionsrisiko – und jede Kollision erzeugt eine Lawine weiterer Schrotteilchen, die um den Globus rasen.
Wichtig wäre eine solche Koordination auch für künftige Starts von Raummissionen und Satellitentransporten in den Orbit. Denn je voller es in der Umlaufbahn wird, desto höher ist das Risiko, dass eine Rakete nach dem Start mit einem Satelliten kollidiert. „Die Raumfahrer müssen sich zusammensetzen, um eine automatisierte Manöverkoordination zu definieren“, so der ESA-Experte.
Rechtliches Niemandsland
Ebenfalls rechtlich ungeklärt ist die Frage, wie Betreiber von Satelliten-Konstellationen mit defekten oder komplett ausgefallenen Satelliten im Orbit zu verfahren haben. Es gibt bisher schlicht kein international gültiges Gesetz, dass die Abfallentsorgung in der Umlaufbahn verpflichtend regelt, wie Corinne Baudouin und ihre Kollegen von der Universität Paris-Saclay erklären: „SpaceX tut nichts, was gegen die Regeln verstößt, weil es schlicht noch keine gibt“, so die Forschenden.
Zwar haben sich einige Länder und Raumfahrtagenturen bereits auf nichtbindende Richtlinien geeinigt. Diese sehen unter anderem den Austausch von Informationen zu Satellitenpositionen, möglichen Kollisionsrisiken oder drohenden Abstürzen vor. Ebenfalls Teil solcher Übereinkünfte ist es, inoperable Satelliten im niedrigen Erdborbit innerhalb einer bestimmten Frist durch Eintritt in die Atmosphäre verglühen zu lassen und so zu entsorgen.
„Aber wie bei allen Umweltfragen mit langfristigen Folgen sind einfache Benimmregeln hier wahrscheinlich nicht ausreichend: Schon wenn ein Betreiber die Regeln nicht respektiert, besteht die Gefahr, neuen Weltraumschrott zu verursachen“, erklären Baudouin und ihre Kollegen. Die eklatante Demonstration einer solchen Missachtung aller Regeln lieferte China im Jahr 2007, als es einen ausgedienten Wettersatelliten mit einer Mittelstreckenrakete abschoss. Die Folge waren rund 40.000 neue Trümmerteile in der Umlaufbahn.
Wie hoch ist die Ausfallquote?
Vorgaben für die Mega-Konstellationen gibt es bisher nur, was die Ausfallquote der Satelliten angeht. Die US-Telekommunikationsbehörde FCC macht es beispielsweise den Betreibern zur Auflage, jedes halbe Jahr zu melden, wie viele Satelliten versagte haben, wie viele nahen Vorbeiflüge es im Orbit gab und wie oft Satelliten ausweichen mussten. Kommt es in einem Jahr zu mehr als drei bis vier Satellitenausfällen, ist zudem eine gesonderte Meldung erforderlich.
Trotzdem gibt es bisher widersprüchliche Angaben dazu, wie hoch beispielsweise die Ausfallrate der Starlink-Satelliten ist: SpaceX beziffert sie zwar aktuell auf maximal 1,45 Prozent, von der ersten Generation der Konstellation sind jedoch rund fünf Prozent inzwischen defekt. Die FCC soll angesichts der erhöhten Kollisionsgefahr durch ausgefallene Mini-Satelliten bereits über verschärfte Vorgaben beraten, in der Diskussionen ist eine Begrenzung des Ausfallrisikos auf maximal 0,1 Prozent. Was das aber für die Satelliten heißt, die jetzt schon im Orbit sind, bleibt offen.