Eine durchaus häufige Form der Halluzination tritt nicht nur bei geistig völlig Gesunden auf, sie erfordert auch keinerlei emotionale oder sonstwie psychische Extremsituation. Einzige Voraussetzung: eine mangelnde Stimulierung der Sinne.
Fünf Tage mit Augenbinde
Im Jahr 2004 führten Lofti Merabet und seine Kollegen von der Harvard University dazu ein wegweisendes Experiment durch: 13 Freiwillige trugen fünf Tage lang ununterbrochen eine Augenbinde, die sie völlig blind machte. Die Probanden durften Radio und Fernsehen hören, bekamen zu essen, durften sich unterhalten und sich ganz normal bewegen, sogar nach draußen gehen. Nur ihr Sehsinn war ausgeschaltet.
Schon nach einem Tag beschrieben zehn der 13 Teilnehmer Ungewöhnliches: „Sie erlebten visuelle Halluzinationen, von denen einige nur aus hellen Lichtflecken bestanden. Andere waren dagegen komplexer und bestanden aus Gesichtern, Landschaften oder verzierten Objekten“, berichten die Forscher. Typischerweise erschienen diese Trugbilder ganz abrupt und hielten einige Sekunden oder Minuten an, um dann wieder genauso plötzlich zu verschwinden.
Häftlings-Kino und Hippie-Visionen
Diese Erfahrungen demonstrieren, dass unser Gehirn schon bei relativ kurzzeitigem Entzug von Sinnesreizen mit Halluzinationen reagieren kann. Gleichsam zur Kompensation der visuellen Reizarmut schafft sich das Gehirn seine optischen Eindrücke selbst. Solche Halluzinationen durch Reizentzug wurden schon früher auch bei Gefangenen beobachtet, wenn diese in Dunkelheit und Einzelhaft saßen – als „Prisoner’s Cinema“ wurde dies eher zynisch bezeichnet.