Psychiater Kai Vogeley berichtet von teilweise bizarren Störungen der inneren Uhr. „Menschen, die an einer Depression leiden, erzählen manchmal, die Zeit vergehe sehr langsam oder stehe gar still. Das bringt sie dann zum Teil sogar so weit zu denken, sie seien tot.“ Für manische Patienten verginge die Zeit dagegen wie im Fluge. Auch Schizophrenie kann das Zeitgefühl beträchtlich durcheinanderbringen, bis hin zum Verlust der aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestehenden Zeitstruktur.

„So, als sei ich ganz anders“
„Ich habe den ganzen Tag ein Gefühl, das mit Angst durchsetzt ist und das sich auf die Zeit bezieht. Ich muss unaufhörlich denken, dass die Zeit vergeht. Während ich jetzt mit Ihnen spreche, denke ich bei jedem Wort: ‚vorbei‘, ‚vorbei‘, ‚vorbei‘.“ – so schildert eine 20-jährige Frau, die an einer Depression erkrankt ist, ihr Zeitempfinden. Ihre Wahrnehmung konzentriert sich fast ausnahmslos auf die Vergänglichkeit und mündet schließlich in einer sozialen Entfremdung.
„Ich kann nicht verstehen, dass Menschen Pläne machen und einen Sinn mit solchen Zeitangaben verbinden und dabei ganz ruhig bleiben. Ich fühle mich darum allen Menschen entfremdet, so als gehörte ich nicht dazu, als sei ich ganz anders.“ Diese Äußerungen der jungen Frau machen ihre Not anschaulich und nachvollziehbar. Das eigentlich Bemerkenswerte daran ist allerdings etwas Anderes: Diese Äußerungen stammen bereits aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Psychiater Victor Emil von Gebsattel hatte sie 1954 aufgezeichnet.
VR-Brille als Therapiehelfer
Der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und einer gestörten Zeitwahrnehmung ist schon lange bekannt. Trotzdem gibt es bisher kaum therapeutische Ansätze, die diesen Zusammenhang berücksichtigen. Das möchte das VIRTUALTIMES-Projekt ändern. Neben dem vornehmlich analytischen Anliegen, die inneren Taktgeber des Menschen besser zu verstehen, haben sich Vogeley und die anderen beteiligten Wissenschaftler auch das Ziel gesetzt, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln.