„Viele Menschen glauben, dass wir global gesehen nie ein Problem mit der Nahrungsproduktion haben werden“, erklärt Francesco Tubiele, Physiker und Landwirtschaftsexperte am NASA Goddard Institute of Space Studies und gleichzeitig Professor für Geowissenschaften an der Columbia Universität. „Aber es gibt ein großes Potenzial für negative Überraschungen.“
Tubiele ist der Autor einer von drei im Jahr 2007 erschienenen Studien, die belegen, dass insbesondere die Landwirtschaft, und damit auch die Nahrungsversorgung, vom Klimawandel stärker betroffen sein könnte als bisher angenommen. In den bisherigen Prognosen seien saisonale Extreme durch Hitze, Dürre oder Starkregen aber auch sekundäre ökologische Folgen nur ungenügend erfasst und daher seien sie zu positiv ausgefallen.
Mehr und weniger Ertrag zugleich
Tatsächlich deuteten Studien der letzten zehn Jahre darauf hin, dass steigende Kohlendioxidgehalte der Luft anfangs sogar die Photosyntheserate vieler Pflanzen ankurbeln und zunächst auch höhere Erträge bringen könnten. Zusätzlich dehnt sich durch das Schmelzen der Permafrostböden im hohen Norden die Fläche des bebaubaren Landes aus und erhöht dadurch ebenfalls die Produktivität.
Doch diese Gewinne werden gleichzeitig wieder aufgefressen durch die sinkenden Erträge in den Tropen, wo bereits bescheidene ein bis zwei Grad Temperaturanstieg die Trockenheit verstärken und bestimmte Pflanzen über ihre Toleranzgrenzen belasten könnten. Wissenschaftler schätzen, dass die Entwicklungsländer 135 Millionen Hektar Ackerland in den nächsten 50 Jahren verlieren werden. Hält der Temperaturanstieg an, wären nach 2050 auch die gemäßigteren Zonen betroffen.
Schnelle Umbrüche statt sanfter Wandel?
Aber all das wird nun noch verschärft: „Die bisherige Projektionen zeigen immer sanfte Kurven, aber eine solche sanfte Kurve hat es auch in der Geschichte der Menschheit nie gegeben“, so Tubiele. „Dinge passieren plötzlich und dann kann man nicht darauf reagieren.“ So können Extremwetter wie Hitzewellen oder plötzliche starke Stürme ganze Ernten in großem Maßstab vernichten, wenn sie sich zu kritischen Zeiten wie der Keimung oder der Blüte der Pflanzen ereignen.
In kleinerem Maßstab ist dies längst Realität: Während einer Hitzewelle im Sommer 2003 stiegen beispielsweise die Temperaturen in Italien sechs Grad über ihr langjähriges Mittel und die Erträge der Getreideernte in der fruchtbaren Poebene fielen um 36 Prozent. Genau solche und ähnliche Ereignisse werden sich in der Zukunft häufen und verstärken – mit entsprechenden Folgen, so die Wissenschaftler.
Und auch indirekte Auswirkungen werden sich in Zukunft stärker bemerkbar machen als bisher kalkuliert: So fördert die steigende Temperatur beispielsweise Viehkrankheiten und Pflanzenschädlinge, da sie die milderen Winter besser überleben. Auch schwächt sie Physiologie und Abwehrkräfte von Tieren und Pflanzen. Andere Studien deuten darauf hin, dass auch Langlebigkeit und Milcherträge sinken könnten.
Stand: 24.10.2008