Verglichen mit alltäglichen Geschwindigkeiten ist Plattentektonik ein langsamer Prozess, denn Kontinente gleiten mit nur wenigen Zentimetern pro Jahr über die tieferen Erdschichten. Und doch bewegen sie sich im Laufe von Millionen Jahren über große Entfernungen und erschaffen dabei mächtige Gebirgsketten, zerklüftete Riftsysteme und tiefe Ozeanbecken.
Wie genau sich die Erdplatten über geologische Zeiträume bewegt haben und welche Kräfte sie dabei antreiben oder abbremsen, wird am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Zusammenarbeit mit der Universität von Sydney untersucht.
Puzzlestücke der Erde
Über hundert Jahre nachdem Alfred Wegener die Form des Superkontinents Pangäa skizzierte, steht fest, dass Südamerika und Afrika über viele Millionen Jahre im westlichen Teil des Superkontinents Gondwana vereint waren. Neben Afrika und Südamerika umfasste Gondwana alle Kontinente der Südhalbkugel, aber auch Arabien, Indien und Teile Südostasiens. Als dieser Superkontinent zerbrach, trennten sich auch Afrika und Südamerika und drifteten auseinander.
Obwohl die Küstenlinien der Südkontinente aneinanderpassen wie Puzzlestücke, stieß Wegeners Idee der Kontinentaldrift am Anfang des letzten Jahrhunderts noch auf wenig Zustimmung. Zu gravierend erschienen die Argumente, dass die festen Gesteine der Erde keine Bewegung der Kontinente zulassen.
Drift in Zeitlupe
Heute steht es außer Frage, dass sich die Kontinente bewegen: mit Hilfe moderner GPS-Technologie können die derzeitigen Geschwindigkeiten der Erdplatten millimetergenau gemessen werden. Eine Zehn-Eurocent-Münze hat einen Durchmesser von knapp 20 Millimeter. Um die doppelte Distanz entfernt sich jährlich Südamerika von Afrika, mit einer Geschwindigkeit von 40 Millimeter pro Jahr. Gleichzeitig wächst die ozeanische Kruste des Südatlantiks, indem heißes, weiches Gestein unter dem mittelozeanischen Rücken aufwärts gezogen wird und sich beim Erkalten an die divergierenden Erdplatten anlagert.
Die gegenwärtigen Geschwindigkeiten der Kontinente kann man zwar direkt messen, aber die der Vergangenheit nicht. Deshalb muss die kinematische Plattengeschichte aus einer Fülle von Daten rekonstruiert werden, wenn wir verstehen wollen, wie sich die Oberfläche unseres Planeten im Verlauf der Erdgeschichte entwickelt hat. Doch woher kennt man die Position der Kontinente über einen Zeitraum von vielen Millionen Jahren?
Gestreifte Magnetsignaturen
Die größte Datenbasis für die Rekonstruktion der Kontinentalbewegungen liefert der Ozeanboden. Bei der Erstarrung der ozeanischen Kruste an den mittelozeanischen Rücken wird die Polarität des Erdmagnetfelds im Krustengestein konserviert. Da das Magnetfeld der Erde alle Millionen Jahre seine Polarität wechselt, bilden sich Streifen von magnetischen Anomalien auf dem Meeresboden, die ein Abbild der Bewegungen der Erdplatten darstellen.
Durch Datierung radioaktiver Isotope in magmatischen Gesteinen sind die Zeitpunkte der Polaritätswechsel sehr gut bekannt, so dass die magnetischen Anomalien direkt in relative Plattengeschwindigkeiten umgerechnet werden können. In Verbindung mit zusätzlichen Daten, wie beispielsweise Ausrichtungen ozeanischer Frakturzonen oder Ergebnisse paläomagnetischer Messungen an Land, kann die Position und Geschwindigkeit der Erdplatten nach dem Zerbrechen eines Superkontinents sehr genau bestimmt werden.
Gedehntes Gestein
Dieser klassische Ansatz der Plattenrekonstruktion lässt allerdings kaum Rückschlüsse auf die Plattenbewegungen vor der Ozeanbildung zu. Um zu verstehen, wie sich zum Beispiel Südamerika und Afrika vor der Öffnung des Südatlantiks während der Riftphase bewegt haben, müssen zusätzliche Prozesse einbezogen werden.
Von größter Bedeutung ist dabei, dass es beim Zerbrechen eines Kontinents erst zu einer starken Dehnung kommt. Dabei wird die feste Gesteinsschicht der Erde dünner, die Oberfläche sinkt ab und es bildet sich ein Becken, in dem sich Sedimente Schicht für Schicht ablagern. Werden diese Sedimentschichten mit geochronologischen Methoden datiert, können die detaillierte Dehnungsgeschichte der Riftzone nachvollzogen und daraus die Plattengeschwindigkeiten ermittelt werden.
Außerdem wird das Zerbrechen von Kontinenten häufig von starkem Magmatismus und der Bildung von Vulkanen wie beispielsweise dem Erta Ale im Afar-Dreieck in Äthiopien begleitet. Er liegt an einem Nordausläufer des Ostafrikanischen Grabenbruchs, der Riftzone, die sich längs durch Afrika zieht. Magmatische Gesteine lassen sich mithilfe von radioaktiven Zerfallsprozessen datieren, was zusätzliche Information über die Entwicklung von Riftsystemen liefert. Die Fülle geologischer, geophysikalischer und geochemischer Daten wird meist zunächst in regionalen Studien vereint, bevor sie in globale plattentektonische Rekonstruktionen einfließt.