Und noch ein Rätsel des Antikythera-Mechanismus ist bis heute nicht eindeutig gelöst: seine Herkunft. Während klar scheint, dass der antike Frachter mit dem Gerät an Bord damals in Richtung Italien unterwegs war, bleiben sein Ausgangshafen und die Herkunft seiner Ladung umstritten. Ebenfalls ungeklärt ist, wann und wo der Mechanismus von Antikythera konstruiert wurde.
Die erste Frage ist das genaue Alter des Mechanismus. Ein Indiz dazu liefert der Zeitpunkt, an dem der Frachter mit dem Gerät an Bord vor Antikythera sank. Demnach kann die „Himmelsmaschine“ nicht später entstanden sein als etwa 65 vor Christus. Aus der Form der Buchstaben und Inschriften auf dem Mechanismus wiederum schließen einige Forscher, dass das Gerät schon deutlich früher konstruiert wurde – möglicherweise um 150 bis 100 vor Christus.
Ursprung auf Rhodos?
Die zweite, weniger leicht zu beantwortende Frage ist die geografische Herkunft. Die Route des antiken Frachters sowie einige Teile seiner Ladung legen nahe, dass das Schiff aus dem Gebiet des östlichen Mittelmeerraums kam – beispielsweise von der Küste Kleinasiens oder vorgelagerten Inseln wie Rhodos. Auch der Antikythera-Mechanismus könnte demnach aus dieser Gegend stammen.
Dazu passt, dass gleich zwei berühmte griechische Gelehrte auf Rhodos lebten und lehrten: Hipparchos und Posidonios. Der Astronom und Mathematiker Hipparchos (190 bis 120 v.Chr.) legte den damals vollständigsten Sternenkatalog an und beschrieb die Bewegungen von Sonne und Mond in präzisen Modellen. Hipparchos gilt zudem als Schöpfer eines Himmelsglobus und mehrerer Instrumente zur Himmelsbeobachtung. Es wäre daher nicht unwahrscheinlich, dass er auch den Mechanismus von Antikythera schuf.
Die „Sphäre“ des Posidonios
Ein zweiter Kandidat wäre der Philosoph und Universalgelehrte Posidonios (125 bis 51 v.Chr.). Auch er lebte und lehrte auf Rhodos und beschäftigte sich unter anderem mit der Vermessung des Erdumfangs und einigen astronomischen Phänomenen. „Posidonios ist genau die Art von Person, die den Antikythera-Mechanismus in Auftrag geben würde – ein wohlhabender Philosoph und Lehrer, der an der physischen Welt tief interessiert war – wenn auch nicht unbedingt an den Details der mathemathischen Astronomie“, sagt Alexander Jones vom Antikythera-Projekt.
Interessanterweise erwähnt der römische Philosoph und Schriftsteller Cicero in einem seiner Werke eine von Posidonios gemachte oder zumindest beauftragte „Sphäre“, die die korrekten Konfigurationen von Sonne, Mond und Erde anzeigen kann. „Unser Mechanismus könnte demnach aus der gleichen Werkstatt stammen wie Posidonios‘ Sphäre, denn es kann damals wohl kaum mehr als einen oder zwei Hersteller eines so ausgeklügelten Geräts gegeben haben“, meint Jones.
…oder doch von Archimedes?
Seltsam allerdings: Das Kalender-Zifferblatt des Mechanismus trägt korinthische Monatsnamen – und damit eine auf Rhodos damals nicht gebräuchliche Form des Kalenders. Das spricht nach Ansicht einiger Historiker gegen einen Ursprung der „Himmelsmaschine“ auf Rhodos. Stattdessen halten sie es für wahrscheinlicher, dass sie aus Korinth oder dem korinthisch geprägten Syrakus stammte.
Möglicherweise, so die Hypothese, wurde der Antikythera-Mechanismus sogar vom großen Gelehrten Archimedes konstruiert, der in Syrakus lebte. Zwar starb dieser Mathematiker, Physiker und Ingenieur schon um 212 v.Chr., dafür weiß man von ihm, dass er zahlreiche technische Geräte erfunden und gebaut hat – darunter auch mehrere Planetarien.
Tatsächlich beschreibt Cicero in einem seiner Werke eine weitere „Sphäre“, die von Archimedes konstruiert wurde und dann bei der Eroberung von Syrakus durch die Römer im Jahr 212 nach Rom gebracht worden sein soll. Cicero lässt seinen Protagonisten beim Anblick dieses Geräts begeistert ausrufen, dass Archimedes „mehr Einfallsreichtum besitze als man der menschlichen Natur zutrauen würde“. Ob Cicero selbst jemals diese Sphäre gesehen hat oder ob er in dieser Szene nur die ihm bekannte Sphäre des Posidonios dem Archimedes zuschreibt, ist jedoch umstritten.
Welcher dieser Kandidaten der wahre Schöpfer des Antikythera-Mechanismus war, darüber sind die Archäologen und Historiker bis heute uneins. Und auch sein Einsatzzweck bleibt vorerst nicht eindeutig geklärt. Damit hütet die antike Himmelsmaschine einige ihrer Geheimnisse bis heute.