Was war die Ursache für Lilienthals Absturz? Lag es an der Konstruktion des Normalsegel-Apparates? Oder fehlte es dem Flugpionier womöglich an Können? Ob der Gleiter oder vielleicht Lilienthal selbst an seinem Tod schuld waren, haben Andreas Dillmann und seine Kollegen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ebenfalls gezielt untersucht. Dabei setzen sie einen genauen Nachbau des Normalsegel-Apparates im Windkanal den Bedingungen aus, wie sie wahrscheinlich auch am 9. August 1896 auf dem Gollenberg geherrscht haben.
Kein Konstruktionsfehler
Das Ergebnis: Schon nach den ersten Tests scheidet nach Ansicht der Aeronautik-Experten ein Konstruktionsfehler aus. „Es handelt sich um eine aerodynamisch absolut saubere Konstruktion, die in allen Flugbereichen eigenstabil war“, sagt Dillmann. Eigenstabil ist ein Fluggerät, wenn es sich bei einer Kursabweichung durch Wind oder Steuerfehler von selbst wieder ins aerodynamische Gleichgewicht bringen. Dies ist Voraussetzung für sicheres Fliegen.
Die Untersuchungen der Forscher zeigten aber auch, wo die Grenzen von Lilienthals Gleiters lagen: Er konnte nur bei bestimmten Bedingungen sicher geflogen werden. „Lilienthals Gleiter konnte gut und sicher bei Windstille oder Gegenwind fliegen“, erklärt Dillmann. „Wenn die Nase des Gleiters aber zu hoch kommt, bäumt er sich auf und wird unbeherrschbar.“ Wie die Messung der DLR-Forscher belegen, bleibt der Normalsegel-Apparat bis zu einem Winkel von 16 Grad nach oben oder unten stabil. Darüber hinaus aber wird es gefährlich.
„Er hätte nicht fliegen dürfen“
Genau das könnte bei Lilienthals tödlichem Absturz am 9. August 1896 passiert sein, wie ein weiteres Experiment belegte. Bei diesem nahm DLR-Mitarbeiter Christian Schnepf die Rolle Lilienthals ein und versuchte, wie dieser, das Kippen des Gleiters durch schwungvolle Beinbewegungen aufzufangen. Doch wie sich zeigte, reichten unter den Bedingungen des Unfalls Lilienthals Kraft und Gewicht nicht aus, um den Sturz abzuwenden.
„Lilienthals Gleiter konnte gut und sicher bei Windstille oder Gegenwind fliegen. Für andere Windverhältnisse wie die Thermik an seinem Absturztag reichte die Manövrierfähigkeit einfach nicht aus“, sagt Schnepf. „Lilienthal hätte am Unglückstag nicht fliegen dürfen.“ Sein tödlicher Absturz geht demnach nicht auf einen gravierenden Konstruktionsfehler, sondern wahrscheinlich auf einen Pilotenfehler zurück. Der Flugpionier, getrieben von seinem Wunsch immer weiter zu fliegen, riskierte einfach zu viel.
Nadja Podbregar
Stand: 12.08.2016