Das spurlose Verschwinden des Observatoriums von Boknis Eck gibt Forschern und Tauchern Rätsel auf. Kann ein großer Fisch die Gestelle mitgerissen haben? Ausgeschlossen, viel zu schwer. Extreme Strömungen scheiden auch aus. Ebenso Sturm – es war sommerliches, ruhiges Wetter, und schwere Stürme hatte das Observatorium bisher ohne Schäden überstanden.
Wurden die Geräte geklaut?
Also Diebstahl? Die Wissenschaftler erstatten Anzeige, bitten die Wasserschutzpolizei um Unterstützung, die Kriminalpolizei beginnt mit Ermittlungen. Zeitungsberichte erscheinen, die Bevölkerung wird um Hilfe gebeten: Wer hat gesehen, dass Schiffe im Sperrgebiet unterwegs waren?
Zwei Kilometer entfernt an Land liegt ein Campingplatz, der mit seinem schönen Meeresblick wirbt. Aber keiner hat an diesem Morgen auf dem Meer etwas Verdächtiges erblickt. Die Polizei tappt im Dunkeln: „Es gibt bislang keine Fundstücke“, bemerkt Sönke Hinrichs von der zuständigen Polizeidirektion Neumünster. Nichts, was Hinweise auf den Verbleib gibt. „Die Ermittlungen ergaben bisher keine näheren Verdachtsmomente.“
Die Marine betreibt in der Eckernförder Bucht eine Torpedoschießbahn. Auch das 1. U-Boot-Geschwader sowie Flottendienstboote sind dort stationiert. Könnte also ein Schiff oder gar ein U-Boot der Marine die Station aus Versehen gerammt und mitgeschleift haben? „Wir haben alles überprüft – keines unserer U-Boote oder Schiffe war an diesem Tag in der Nähe“, sagt Hauptbootsmann Maria Hagemann, Sprecherin der Deutschen Marine.
…oder aus Versehen mitgeschleift?
Laut Schiffsbewegungsdaten war überhaupt kein Schiff zum fraglichen Zeitpunkt bei Boknis Eck unterwegs. Erhoben werden diese Daten auf dem Meer mit dem AIS-System (Automatic Identification System). Will sich ein Kapitän aber nicht entdecken lassen, kann er den Sender, den es in jedem Schiff ab einer Länge von 20 Meter geben muss, auch einfach ausschalten und wäre damit quasi unsichtbar.
Des Rätsels Lösung könnte daher ein Schleppnetzfischer sein, der heimlich und verbotenerweise im Sperrgebiet gefischt hat. Schleppnetze bestehen aus trichterförmigen Säcken, die Schwarmfische wie Heringe, Kabeljau, Seelachs, Sprotten und Makrelen einsammeln. Grundschleppnetze werden sogar über den Boden gezogen, um dort mit schweren Ketten den Meeresboden aufzuwühlen und Plattfische aufzuscheuchen.
Die Netze sind mitunter bis zu 1,5 Kilometer lang. Schleppnetzfischer sind in der Kritik, weil sie mit moderner Ortungstechnik wie Echolot Fischschwärme gezielt orten, Meere systematisch leer fischen und dabei große Mengen an Beifang in Kauf nehmen – ein Unterwasserobservatorium würde da zunächst gar nicht auffallen.
Schleifspur am Meeresgrund
Das Taucherteam der Universität Kiel hat von einem Forschungsschiff aus den Meeresboden bereits mit Multibeam-Echolot abgesucht. Dieses hochauflösende Sonar zeigt die Bodenstruktur am Meeresgrund – und offenbarte eine 360 Meter lange Schleifspur. So konnten die Taucher zwei Gebiete eingrenzen, in denen die Reste der Messstation vielleicht liegen.
Hermann Bange trauert aber vor allem um die Daten. „Der Boknis-Eck-Datensatz war auch international sehr gefragt“, sagt er, „und es ist eine Schande, dass er nun eine so lange Lücke haben wird.“ Der kleine Teil des Observatoriums, der unversehrt geblieben ist, ist mit Sensoren zu Fluoreszenz und Chlorophyll ausgestattet und könnte demnächst wieder angeschlossen werden – sofern das Kabel keinen zu großen Schaden genommen hat. Je länger es allerdings offen auf dem Meeresboden liegt, desto unwahrscheinlicher wird das.
„Der Aufwand, das Kabel neu zu legen, ist enorm“, bekräftigt Hermann Bange. „Die ganze Station neu zu bauen, wird etwa ein Jahr dauern. Wir können nur hoffen, dass die Versicherung einen großen Teil der Kosten übernimmt.“
Autorin: Isabell Spilker/ Helmholtz Perspektiven 4/2019