Es liegt in der Natur der Tiere, sich auf Partnersuche zu begeben und möglichst viele gesunde Nachkommen zu zeugen, die das Erbgut ihrer Eltern erhalten. Die Mittel, die Tiere nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen und Geschlechtspartner anzulocken, können die Tiere aber auch in Gefahr bringen.
Das Risiko hinter der Selbstpräsentation
Sich in voller Pracht zu präsentieren, steigert den Fortpflanzungserfolg von Tieren. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der männliche Pfau, der das Weibchen mit seinem prächtigen Pfauenrad anlockt. Dabei stellen die Vögel ihre Schmuckfedern in einem Balztanz vor: Je größer und farbiger sie währenddessen erscheinen, desto gesünder wirkt das Männchen und umso besser gefällt es dem Weibchen.
Dieses auffälliges Werbeverhalten kann aber auch zur Gefahr für den männlichen Vogel werden, denn das lange Prachtgefieder ist meist in blauen, gelben und grünen Tönen gefärbt und deshalb in der Natur sehr auffällig – sich zu tarnen fällt entsprechend schwer. Fressfeinde können die bunten Vögel leichter auffinden und jagen. Je imposanter ein Pfau ist, desto größer ist diese Gefahr. Dadurch mindert sich seine Chance, viele Nachkommen zu bekommen.
Kompromiss der Selektionsdrücke
Das bedeutet, dass der Pfau einerseits die Weibchen mit seinem Gefieder beeindruckt und dadurch einen Selektionsvorteil bei der sexuellen Auslese hat. Andererseits erhöht sich damit aber auch das Risiko, dass er der natürlichen Selektion durch seine Fressfeinde unterliegt. Daraus schließen Evolutionsbiologen, dass sich das Gefieder trotz dieser Gefahr für Paarungszwecke aus der sexuellen Auslese entwickelte.
Die männlichen Prachtvögel, die ihre Auserwählten beeindrucken können, aber unauffällig genug sind, um sich vor Fressfeinden zu schützen, haben somit die größte Überlebenschance – die größte Fitness. Der Evolutionsbiologe Charles Darwin sprach davon, dass das Erscheinungsbild dieser Tiere der balancierter Kompromiss aus den zwei Selektionsdrücke ist.
Männliche Hirsche unter doppeltem Druck
Auch die Ausbildung des Geweihs männlicher Hirsche wird von sexuellem und natürlichem Selektionsdruck beeinflusst: Die Hirsche mit einem imposanten Geweih haben einen hohen Fortpflanzungserfolg, weil sie sich in Rivalenkämpfen besser durchsetzen können. Andererseits erfordert ein so ausladendes Körperteil beim Wachsen viel Energie und Nahrung und behindert die Tiere zum Beispiel, wenn sie durch den Wald laufen. Dadurch begrenzt das Geweih die Lebensdauer der Hirsche, wenn sie etwa wenig Nahrung finden oder schlechter vor Jägern fliehen können.
Auch hier wirken die beiden Selektionsdrücke gegeneinander: Die „balancierte Mitte“ daraus verspricht den größten Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil und setzt sich auf lange Sicht als die Erscheinungsform des Geweihs durch. Wie dieser balancierte Kompromiss aussieht, hängt davon ab, ob zum Beispiel der Zugang zur Nahrung oder der Konkurrenzdruck unter den männlichen Hirschen stärker ins Gewicht fällt.
Ganze Art bedroht
Welche Hirsche sich fortpflanzen, hat auch großen Einfluss auf die gesamte Population: Steht beispielsweise ausreichend Nahrung zur Verfügung, vermehren sich die Hirsche, die sich mit ihrem großen Geweih gegen ihre Konkurrenten durchsetzen können, am besten. Daraus folgt, dass auch die meisten männlichen Nachkommen mit einem großen Geweih heranwachsen.
Gehen nun aber wichtige Nahrungsquellen verloren, sterben diese Tiere zuerst, da sie auf viel Energie angewiesen sind und schlechter auf Nahrungssuche gehen können. Ist eine Population sehr klein, kann sie dadurch sogar aussterben.
Sexuelle Auslese evolutiv vorteilhaft?
Und genau das ist auch bereits in der Vergangenheit vorgekommen: 2018 hat ein Forscherteam um Maria Martins vom National Museum of Natural History in Washington fossile Schalentiere auf ihre Selektionsdrücke untersucht. Dafür prüften sie die Lebensdauer mehrere Ostrakoden-Arten: Diese Schalentiere ähneln kleinen Garnelen und sind in einer harten, muschelförmigen Schale eingeschlossen. Die Männchen bewohnten dabei typischerweise größere Schalen, da sie große Sexualmerkmale besaßen.
Es zeigte sich, dass die Arten mit unverhältnismäßig großen Männchen – die scheinbar einem starken sexuellen Selektionsdruck ausgesetzt waren – sehr viel schneller ausstarben: „Wir zeigten, dass Arten mit ausgeprägterem Sexualdimorphismus, der auf hohe Investitionen der Männchen in die Fortpflanzung hinweist, Aussterberaten hatten, die zehnmal höher waren als die der Arten mit den geringsten Investitionen“, so Martins und ihre Kollegen. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die sexuelle Selektion ein wesentlicher Risikofaktor für das Aussterben sein kann.“
Ob die sexuelle Auslese die Evolution von Tieren eher vorantreibt oder sogar das Gegenteil bewirkt, wird unter Biologen noch immer diskutiert.