Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und zugleich eine herkulische Aufgabe, die Linguisten und Ethnologen international mit der Dokumentation bedrohter Sprachen zu bewältigen versuchen. Dafür leben die Wissenschaftler wochen- und monatelang in entlegenen Dörfern, tragen Wort für Wort das Vokabular der meist schri¬ftlosen Kleinsprachen zusammen und entschlüsseln deren Grammatik – sei es bei den First Nations in Nordamerika, bei Indios im Amazonasbecken oder bei Dorfgemeinschaften auf Papua-Neuguinea, im Himalaja oder in der Wüste Kalahari.
Sterben im Verborgenen
Bei ihrer Arbeit fällt den Forschern immer wieder auf, dass sich die Öffentlichkeit des Problems kaum bewusst ist. Selbst in akademischen Kreisen genießt es nur wenig Aufmerksamkeit. Historische Monumente wie die von den Taliban zerstörten Buddhastatuen von Bamiyan, aber auch gefährdete Ökosysteme oder vom Aussterben bedrohte Tiger, Gorillas und Wale berühren viel mehr. „Dass dies nicht im selben Maß für bedrohte Sprachen gilt“, sagt Himmelmann, „liegt wahrscheinlich daran, dass sie immateriell und abstrakt sind.“
Auch sein Bamberger Kollege, der Linguistikprofessor Geoffrey Haig, fordert, die Sprachvielfalt als schützenswertes Kulturgut anzuerkennen. Zu den Bamyian-Buddhas besteht aber noch ein elementarer Unterschied: Sprachen sind keine Denkmäler aus Stein. „Das massenhafte Sterben von kleinen Sprachen besitzt vor allem eine menschliche Dimension: Wer seine Sprache verliert, verliert auch seine historischen Wurzeln, seine kulturelle Identität und damit einen Teil seines Selbstwertgefühls.“
Mammutprojekt zur Sprachenrettung
Es war diese dramatische Lage, die bereits vor einem guten Jahrzehnt die VolkswagenStiftung in Hannover aufhorchen ließ. Um die gefährdete Sprachenvielfalt für die Zukunft zu sichern, haben die Wissenschaftsförderer im Jahr 1999 ein Mammutprojekt ins Rollen gebracht: die Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“, kurz DobeS. Mit rund 28 Millionen Euro hat die VolkswagenSti¬ftung seither auf allen Kontinenten 103 Projekte ermöglicht. 2016/17 wird die Förderung des letzten Projekts auslaufen.
Solche Dokumentationsprojekte haben vor allem den Blick auf die Sprachentwicklung der Menschheit neu justiert. Insbesondere für Psycholinguisten ist die sprachliche Vielfalt gewissermaßen ein Echolot, um die Tiefe des menschlichen Denkvermögens zu ergründen. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Sprache sei „gleichsam der Leib des Denkens“. In einer jeden spiegelt sich also wider, wie Menschen ihre Umwelt erfahren und verstehen. Besonders ihre Kultur prägt sich ganz spezifisch darin aus.
Karin Schlott / VolkswagenStiftung, Broschüre Bedrohte Sprachen
Stand: 24.05.2013