Warum einfach, wenn es auch schwierig geht: Nach diesem Motto verfährt die Ameise Protomognathus americanus, wenn es um das „Sklaven machen“ geht – so scheint es zumindest. Denn Biologen von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) berichteten 2010 in der Fachzeitschrift „Animal Behaviour“, dass Protomognathus americanus mit Vorliebe besonders große und gut verteidigte Temnothorax-Kolonien angreift, um dort Puppen zu rauben.
Gefährliche, aber wenige Raubzüge
Doch mittlerweile haben die Forscher um Sebastian Pohl und Professorin Susanne Foitzik längst eine einleuchtende Erklärung für das überraschende Verhalten parat. „Wenn ich die größeren Kolonien angreife, dann ist zwar das Risiko während eines Raubzuges größer, aber ich reduziere die Anzahl der Raubzüge, die ich machen muss“, versetzt sich Pohl in die Situation der Scouts von Protomognathus americanus. Denn in mächtigen und bestens geschützten Wirtsnestern sind in der Regel mehr Puppen zu erbeuten als in kleineren, die vielleicht einfacher zu erobern sind.
Das Motto der Sklavenhalter-Ameisen lautet demnach: Wenn schon sein Leben aufs Spiel setzen, dann muss es sich wenigstens lohnen. Diese Strategie könnte dazu dienen, die Kosten für die Gemeinschaft, die mit den Raubzügen verbunden sind, zu reduzieren. Denn mehr als einen Sklavenhalter-Scout zu verlieren, kann sich ein Protomognathus-Nest kaum erlauben.
Fliehen vor der Gefahr
Doch damit nicht genug. Denn Foitzik und Pohl haben noch eine weitere interessante Entdeckung gemacht. Sie konnten im Rahmen ihrer Studie zeigen, dass Protomognathus americanus auch das Aussehen und die Zusammensetzung der Wirtsnester in ihrer unmittelbaren Umgebung entscheidend beeinflusst – und dabei ausgeklügelte Anpassungsstrategien der potenziellen Sklaven entstehen.
Denn die von Überfällen bedrohten Temnothorax-Kolonien in Gebieten mit Sklavenhaltern sind den Wissenschaftlern zufolge nicht nur seltener und kleiner, sondern bringen auch weniger neue Arbeiter hervor. Dafür gibt es dort zum Ausgleich mehr geschlechtsreife Tiere. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Männchen und Königinnen besitzen funktionsfähige Flügel und können bei einer Protomognathus-Attacke problemlos aus dem gefährdeten Gebiet fliehen. Das ermöglicht dem angegriffenen Temnothorax-Staat einen Neuanfang in sicherem Terrain.
Diese Reaktion der Temnothorax-Ameisen ist jedoch nur Teil eines evolutionären Wettrüstens. Denn auf die Verbesserung des Flucht-Mechanismus durch die Sklaven-Anwärter, werden die Sklavenhalter – angetrieben von natürlicher Selektion und dem Kampf ums Überleben – irgendwann selbst wieder mit neuen Anpassungen reagieren. Denn nur so können sie sich die lebensnotwendigen Dienste der Wirtsameisen auch in Zukunft sichern. Forscher sprechen in einem solchen Fall von einer Koevolution.
Domestikation statt Sklavenhaltung?
Doch der Wettbewerb zwischen den Temnothorax-Arten und Protomognathus americanus macht noch etwas anderes deutlich: Obwohl die Sklavenhaltung bei diesen – und vielen anderen – Ameisen durchaus Ähnlichkeiten mit der beim Menschen aufweist, gibt es doch auch gravierende Unterschiede.
Einen nennt Foitzik ausdrücklich: „Protomognathus unterjocht Ameisen einer anderen Art”. Es handelt sich dabei demnach eher um eine Art Domestikation. „Das ist in etwa so, wie wenn wir Pferde und Kühe für unsere Arbeit nutzen“, erklärt Foitzik.
Doch es gibt im Tierreich auch Beispiele für Sklavenhaltung innerhalb einer Art. Dies zeigt ein Blick nach Ostafrika und speziell das Verhalten eines ganz besonderen Säugetiers…
Dieter Lohmann
Stand: 15.04.2011