Der ursprüngliche Kanal funktionierte wahrscheinlich nur rudimentär. Im Laufe der Zeit wurde der Anspruch an den Durchsatz, aber auch an seine Spezifität, immer höher. Unter diesem evolutionären Druck „entstanden“ neue Proteineinheiten, welche die Passage durch die Membran katalysierten.
Fünf Komponenten im Einsatz
Heute kennen wir fünf Komponenten, die an dem Prozess des Proteintransports über die äußere Hülle von Chloroplasten beteiligt sind, nämlich Toc12, Toc34, Toc64, Toc75 und Toc159. In den heute lebenden Landpflanzen sind sie alle lebensnotwendig. So zum Beispiel besitzt eine Pflanze, in der kein Toc159 gebildet werden kann, farblose Blätter, was gleichbedeutend ist mit dem Fehlen von Photosystemen. Dadurch ist diese Pflanze nur begrenzt lebensfähig.
Ein Kamel kommt zum Kraftwerk…
Wie bereits erwähnt, wird die Mehrheit der für die Chloroplastenfunktion notwendigen Proteine durch Gene kodiert, die im Zellkern lokalisiert sind. Ihre Synthese, wie auch die von Proteinen mit anderen Funktionsorten, findet im Cytosol statt. Damit die Proteine ihren Wirkungsort in der Zelle finden, wurden sie im Laufe der Evolution mit sogenannten Zielsteuerungssequenzen ausgestattet. Das sind bestimmte Bestandteile der Aminosäurekette, aus denen das Protein besteht. Sie haben eine ähnliche Funktion wie die Adresse auf einem Briefumschlag.
Eigenschaften einer Zielsteuerungssequenz
Bisher wurde jedoch noch nicht vollständig geklärt, welche spezifischen Eigenschaften eine Zielsteuerungssequenz besitzen muss, um ein Protein zu den Chloroplasten zu dirigieren. Jedenfalls wird sie im Cytosol von Faktoren – Transportproteinen – erkannt, die für den Transport zu der Organelle wichtig sind. Das in der äußeren Hüllmembran eingelagerte Protein Toc64 erkennt genau solche cytosolischen Faktoren. Toc64 besitzt eine dem Cytosol zugewandte Region, die eine spezifische Komponente der cytosolischen Transportkomplexe, nämlich das Chaperon HSP90, erkennt.
Interessanterweise besitzen Mitochondrien an der Oberfläche einen Rezeptor mit ähnlichem Aufbau und ähnlicher Funktion. Daraus ergibt sich, dass die Funktion von Toc64 wahrscheinlich im Erkennen und Festhalten der Transportkomplexe besteht, jedoch ohne das zu transportierende Protein selbst zu erkennen.
Chaperone als Faltungshelfer
Toc75, der Kanal des ganzen Systems, hat einen Durchmesser von etwa zwei Nanometern und ist damit zu klein, um ein funktionelles Protein zu transportieren. Wie also gelangt das Kamel durch das Nadelöhr? Proteine bestehen aus einer langen Aminosäurekette, die erst durch die Ausbildung einer dreidimensionalen Struktur zu einer funktionellen Einheit wird. Da der Kanal eine Größe besitzt, die nur die Passage einer fadenförmigen Aminosäurekette erlaubt, muss es einen Mechanismus geben, der verhindert, dass sie sich vorher faltet. Dazu heften sich Faltungshelfer, sogenannte Chaperone, an die zu transportierende Aminosäurekette, bis der Transportprozess über die Membran beginnt.
An der Oberfläche der Organelle angekommen, erkennt der in der Membran eingelagerte „Transporter“ die Zielsteuerungssequenz des Proteins. Insgesamt vereinen sich neun membraneingelagerte Proteinmoleküle – vier porenbildende Toc75, vier Toc34 und ein Toc159 – zu einem Komplex und sorgen gemeinschaftlich für den reibungslosen Transport.
Toc34 und Toc159 als Türsteher
Toc34 und Toc159 übernehmen dabei die Rolle des Türstehers, das heißt, sie dienen als Rezeptoren für die Zielsteuerungssequenz des Proteins. Sobald Toc34 die Zielsteuerungssequenz erkannt hat, übergibt es sie an Toc159. Erst dann beginnt der eigentliche Transport über die Membran. Die beiden Komponenten Toc159 und Toc75 sind die einzigen, die in einem isolierten System benötigt werden, um ein Protein durch die Membran zu schleusen – so passt das Kamel durch das Nadelöhr.
Die Erkennung der Zielsteuerungssequenz durch Toc159 induziert die Spaltung eines Phosphates vom Guanosintriphosphat (GTP), das Energie für den Transportprozess liefert. Dies ist der Startschuss für die Reise der Aminosäurekette durch den Kanal. Man geht davon aus, dass Toc159 alle vier Poren im Komplex nacheinander mit „Passagieren“ belädt.
Was genau während der Spaltung des GTP-Moleküls passiert, ist noch unklar. Eine Hypothese ist, dass der Kanal durch eine Art Deckel verschlossen ist und Toc159 diesen öffnet, sobald es sich vergewissert hat, dass es das richtige Protein einlässt. Die Annahme eines Deckels erscheint in vielerlei Hinsicht sinnvoll. Einerseits gewährleistet er, dass durch das zwei Nanometer große Loch nicht wahllos Moleküle zwischen den Reaktionsräumen ausgetauscht werden.
„Schlüssel–Schloss“-Prinzip
Andererseits wäre so ein „Schlüssel–Schloss“-Prinzip realisiert, in dem Toc34 und Toc159 die Qualitätskontrolle der ankommenden Proteine übernehmen. Im Membranzwischenraum wird das Vorstufenprotein durch weitere Komponenten der Maschine erkannt. Jetzt muss es nur noch die zweite, den Chloroplasten umgebende Membran passieren, um endlich an dem Ort seiner Funktion anzukommen.
Enrico Schleiff / Forschung Frankfurt
Stand: 18.06.2009