Auch heute noch zeugen häufige Erdbeben davon, das der Mittelmeerraum tektonisch aktiv ist. Aber wie hoch ist aktuelle Tsunami-Risiko? Immerhin leben mehr als 130 Millionen Menschen in den Küstenregionen des Mittelmeers. Und in jedem Sommer kommen weitere Millionen Touristen hinzu, die sich an den Stränden von Rhodos, Rimini oder der Costa Brava erholen.
Schon ein Beben der Stärke 6,5 kann reichen
Das mediterrane Tsunamirisiko wird schon seit einigen Jahren intensiv von verschiedenen Forschergruppen untersucht. Wie stark ein Erdbeben an einer der bekannten Verwerfungen im Mittelmeer sein muss, um einen Tsunami auszulesen, haben erst vor Kurzem Patrizio Petricca und Andrey Babeyko vom GeoForschungszentrum Potsdam (GFZ) untersucht. Ihren Analysen zufolge sind fast alle mediterranen Küsten potenziell tsunamigefährdet.
„Nahezu jede Verwerfung im Mittelmeer kann ab einer Bebenstärke von 6,5 einen lokalen Tsunami der ersten Warnstufe von bis zu 50 Zentimeter Höhe auslösen“, berichten die Forscher. Um höhere Wellenhöhen zu erreichen oder mehr als 100 Kilometer entfernte Küsten zu treffen, seien Erdbeben zwischen 6,9 und mehr als 8,0 nötig. Am häufigsten sind den Daten zufolge Tsunamis nahe der Subduktionszonen und an den italienischen und nordafrikanischen Küste zu erwarten.
Besonders gefährdet sind aber auch eingeschlossene Meeresgebiete wie die Adria und die Ägäis, wie Petricca und Babeyko erklären. Denn bei ihnen reichen schon Seebeben unter Magnitude 7, um zumindest kleine Tsunamis zu verursachen.
Fünf Meter alle 100 Jahre, mehr als zehn Meter alle 5.000 Jahre
Wie häufig Tsunamis verschiedener Höhen an den verschiedenen auftreten, hat ein weiteres GFZ-Team um Mathilde Sørensen untersucht. Für ihre Studie berechneten sie das Tsunamirisiko für 21 Zonen im Mittelmeer anhand historischer Daten und Modellrechnungen. Ihr Ergebnis: „Für kurze Zeiträume, beispielsweise einer Wiederkehrperiode von 50 Jahren, konzentriert sich das Tsunami-Risiko im östlichen Mittelmeer“, berichten die Forscher.
Vor allem der Südwesten Griechenlands, Kreta, die südliche Ägäis, Zypern, Südost-Italien und die Küsten Ägyptens und Libyens könnten einmal in 50 Jahren einen rund einen Meter hohen Tsunami erleben. Dass schon solche mäßigen Flutwellen Schäden auslösen können, demonstrierte 2003 ein von einem Seebeben vor Algerien verursachter Tsunami. Die zwei Meter hohen Wellen zerstörten auf Mallorca und Ibiza mehr als 200 Boote und Dutzende Autos.
Aber auch deutlich höhere Tsunamis sind zu erwarten – wenn auch in größeren Abständen. „Im Maßstab von 100 Jahren haben einige Orte im Norden Libyens eine bis zu 20-prozentige Wahrscheinlichkeit, einen fünf Meter hohen Tsunami zu erleben“, so Sørensen und ihr Team. Mehr als zehn Meter hohe Flutwellen gibt es im Schnitt alle 5.000 Jahre im Südwesten Griechenlands und in Libyen – rein statistisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass solche Tsunamis nicht auch in kürzeren Abständen und in anderen Gebieten auftreten können.
(Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-40740-1; Journal of Geophysical Research, 2012; doi: 10.1029/2010JB008169)