Damit das Flüssiggas in Deutschland genutzt werden kann, muss es wieder in den gasförmigen Zustand gebracht und ins deutsche Gasnetz eingespeist werden. Damit dies geschehen kann, sind spezielle LNG-Terminals nötig – von denen Deutschland bisher kein einziges besitzt. Wie könnte Flüssiggas dennoch zu uns gelangen? Und welche Kapazitäten gibt es dafür mit der bestehenden Infrastruktur?
Erster Engpass: die LNG-Tanker
Klar scheint: Russisches Erdgas komplett durch LNG ersetzen zu wollen, wird schwierig. Denn die Transportkapazitäten reichen dafür nicht aus. Der erste Engpass sind die verfügbaren LNG-Tanker. Sie können je nach Bauart zwischen 125.000 und 250.000 Kubikmeter Flüssiggas transportieren. Dieses wird auf den Schiffen in wärmeisolierten Kugeltanks aus Metall oder Membrantanks aus verstärktem Polyurethan gelagert. Eine Flüssiggas-Füllung von 125.000 Kubikmetern entspricht etwa der Erdgasmenge von 75 Millionen Kubikmetern Pipelinegas.
Sollen LNG-Tanker die jährlich rund 160 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas ersetzen, die noch 2020 durch Pipelines nach Europa strömten, müsste die weltweite LNG-Transportkapazität erheblich aufgestockt werden: Nach Angaben des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen liegt das Volumen der weltweiten LNG-Tankerflotte bisher bei etwa 103 Millionen Kubikmetern Flüssiggas.
Um das russische Erdgas für ganz Europa durch LNG zu ersetzen, wären nach Schätzungen des ISL zusätzliche Transportkapazitäten für rund 280 Millionen Kubikmeter LNG erforderlich. Das würde bedeuten: Die vorhandenen LNG-Tanker müssen häufiger fahren, ihre Routen aus Asien nach Europa verlagern oder es müssen mehr Tanker her.
Zweiter Engpass: die LNG-Terminals
Der zweite Engpass sind die LNG-Terminals – die Anlandestationen, an denen das Flüssiggas vom Tanker an Land gepumpt, regasifiziert und in das europäische Leitungsnetz eingespeist wird. Um das LNG wieder in den gasförmigen Zustand zu bringen, wird es zunächst durch Pumpen auf einen Druck von 70 bis 100 Bar komprimiert und über Wärmetauscher durch Meerwasser auf Raumtemperatur gebracht. Dies führt dazu, dass das Flüssiggas verdampft und gasförmig wird.
In Europa gibt es zurzeit 37 LNG-Terminals, die bis vor einigen Jahren meist nur wenig ausgelastet waren – die Nachfrage nach Flüssiggas war aufgrund der höheren Preise gering. Das hat sich in den letzten Jahren jedoch geändert: Der LNG-Anteil an der europäischen Gasversorgung hat sich laut EU-Kommission auf rund ein Viertel erhöht. Dadurch liegt die Auslastung der europäischen LNG-Terminals nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zurzeit bei bis zu 70 Prozent.
Das Problem dabei: Vor allem die Anlagen an Nord- und Ostsee laufen bereits mit hoher Kapazität. Doch gerade sie sind es, über die auch Flüssiggas für Deutschland angelandet werden müsste. Weil es an der deutschen Küste keine LNG-Terminals gibt, beziehen wir unser LNG bisher vor allem aus den Regasifikationsanlagen in Rotterdam, im belgischen Zeebrügge und im französischen Dünkirchen. Doch diese haben nicht genug freie Kapazitäten, um den Ausfall des russischen Erdgases mit LNG zu kompensieren. Die großen LNG-Terminals in Spanien könnten dies zwar leisten, es gibt aber nicht genug Fernleitungen, die dieses Gas über die Pyrenäen in den Rest Europas bringen könnten.
Dritter Engpass: das Leitungsnetz
Und noch einen Engpass gibt es: Das europäische Gasnetz ist für den Transport von russischem Erdgas optimiert, deshalb gehen die meisten Leitungen von Ost nach West und von Norden nach Süden. Durch seine zentrale Position ist Deutschland dabei ein wichtiger Verteiler. Denn im Osten unseres Landes kommen gleich drei große Pipelines an, die russisches Gas nach Europa bringen: die Ostsee-Pipeline Nordstream 1, die durch Polen führende Jamal-Pipeline und die Transgas-Pipeline, die durch die Ukraine verläuft. Auch die großen Gasspeicher in Deutschland hängen direkt an den Gasleitungen, die russisches Gas durch Mitteleuropa transportieren.
Doch die europäischen Gasfernleitungen sind meist Einbahnstraßen, ein Gastransport gegen die Hauptstromrichtung – der sogenannte Reverse-Flow – ist nur eingeschränkt möglich. Genau dies wäre aber nötig, um Gas von den vorwiegend in Westeuropa liegenden LNG-Terminals nach Deutschland zu bringen. Ein Expertenkomitee des Bundesforschungsministeriums (BMBF) hat ermittelt, dass die Kapazität der Grenzübergangspunkte im Westen Deutschlands bei rund 1.769 Gigawattstunden pro Tag liegt. Um den Wegfall des russischen Gases zu kompensieren, wäre aber etwa das Doppelte nötig.
„Die kurzfristige Kompensation über LNG ist trotz der verfügbaren zusätzlichen Kapazitäten demnach möglicherweise aufgrund infrastruktureller Restriktionen begrenzt“, heißt es im aktuellen Hintergrundpapier des BMBF. Und was nun?