Erdbeben lassen sich mit unserem heutigen Wissen nicht vorhersagen. Seismologen können jedoch schon aus den ersten Wellen eines Erdbebens wertvolle Informationen schöpfen, um Rückschlüsse auf Erdbebenherd und maximal zu erwartende Zerstörungskraft zu ziehen.
Ein entscheider Faktor dafür sind Kenntnisse der geophysikalischen Eigenschaften der Erdkruste in der Region sowie Informationen über die Reaktion des flachen Untergrunds auf durchlaufende Erdbebenwellen. Sind diese so genannten lokalen Standorteffekte bekannt, lässt sich besser abschätzen, welche Folgen ein Beben haben wird. Im Zweifelsfall gewinnt man durch dieses Wissen wertvolle Sekunden Zeit für Warnungen und Schutzmaßnahmen.
Per Satellit: Was halten die Gebäude aus?
Damit die Auswirkungen eines starken Erdbebens für Istanbul abgeschätzt werden können, sind Maßnahmen zur Erfassung der Gebäude- und Infrastrukturgüte nötig, aber auch Daten für eine Berechnung lokaler Standorteffekte. Um den Zustand der Bebauung und ihre Reaktion auf seismische Erschütterungen einschätzen zu können, haben GFZ-Forscher gemeinsam mit dem Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein neues Verfahren zur Gebäude- und Infrastrukturcharakterisierung entwickelt.
Dieser neue Ansatz auf Basis von Satellitendaten eignet sich besonders für schnell wachsende Großstädte, da damit die Infrastruktur größerer Gebiete relativ schnell erfasst werden kann. Dafür bestimmten die Wissenschaftler die Art der Landnutzung sowie die Höhe von Gebäuden und deren Bautyp mit Hilfe der Fernerkundung. Diese Informationen rechneten sie anschließend in Vulnerabilitätsangaben des Gebäudebestands um. Um zu prüfen, ob diese Methode auch ein realistisches Bild ergibt, verglichen sie die so ermittelten Werte mit den Ergebnisse einer detaillierten Untersuchung ausgewählter Gebäude.
Wie stark können die Bebenwellen maximal werden?
Ein weiteres Standbein ist die Erfassung der so genannten makroseismischen Beziehungen für den Raum Istanbul. Diese basieren auf der Tatsache, dass und wie stark die Stärke der Bodenbewegung mit der Entfernung zum Bebenherd abnimmt. Über regionale Messungen kann daraus die maximal zu erwartende Amplitude der Bodenbeschleunigung an einem Ort, bezogen auf ein Beben einer bestimmten Magnitude ermittelt werden.
Im Falle Istanbuls geschieht dies aus Nachbebendaten der Deutschen Task Force für Erdbeben des GFZ, die diese nach dem Izmit-Erdbeben (Magnitude 7,4) vom 17. August 1999 für diese Region gewonnen haben. Diese makroseismischen Beziehungen gelten zwar nur eingeschränkt für Magnituden im Bereich 0,5 bis 5,9 und für den Frequenzbereich von einem bis zehn Hertz, sie sind jedoch die derzeit fundiertesten für diese Region.
Birger-Gottfried Lühr, Claus Milkereit, Stefano Parolai, Matteo Picozzi, Heiko Woith, Angelo Strollo, Mustafa Erdik, Atilla Ansal, Jochen Zschau / GFZ-Potsdam
Stand: 03.06.2011