Lange Zeit galt unter Evolutionsforschern die Prämisse, dass die Entwicklungsgeschichte des Lebens ausschließlich auf der allmählichen, graduellen Veränderungen von Arten beruht. Aus einer Stammart entwickelt sich so mit der Zeit durch das Wechselspiel von Anpassung, Konkurrenz und Selektion eine Vielzahl von unterschiedlichen Abkömmlingen, neue Arten entstehen.
Typischerweise wird die Entwicklung des Lebens daher auch oft als nach oben breiter werdender Stammbaum dargestellt: Aus einem „Stamm“ gehen durch Verzweigung nach und nach immer mehr Seitenäste hervor, bis in der Krone die maximale Dichte erreicht wird. Diese Darstellung findet sich in fast jedem Biologiebuch.
Doch wie man inzwischen weiß, haben die tatsächlichen Abläufe in der Evolution damit nur wenig Ähnlichkeit. Sie gleichen eher einem langgezogenen, verzweigten Band aus vielen kürzeren Fasern, das mal dicker und mal dünner ist und viele lose Enden aufweist. Die Entwicklungslinie vieler Arten geht nicht ununterbrochen weiter, sondern bricht nach einer gewissen Zeit ab, in den Lücken entstehen durch Verzweigungen neue Lebensformen, nur um dann wenig später wieder zu verschwinden. Andere Stränge bleiben erhalten, verändern aber ihre Gestalt im Laufe der Zeit.
Plötzliche Einschnitte im Stammbaum
Auch die seit Darwin postulierte gleichmäßige zeitliche Entwicklung scheint immer weniger in das beobachtete Bild zu passen. Noch vor 20 Jahren galten stabile Umweltbedingungen auf einem Planeten als Grundvoraussetzung für die Entstehung hochentwickelter Lebensformen. Doch die Evolution auf der Erde war offenbar keineswegs ein langer ruhiger Fluss, sondern gleicht in ihrem Verlauf eher einem unberechenbaren Wildwasser, bei dem sich Stromschnellen und ruhige Abschnitte abwechseln.