Gut 300 Meter tief können Menschen tauchen – natürlich nur mit entsprechendem technischen Zubehör und in guter körperlicher Verfassung. 500 Meter schaffen dagegen Kaiserpinguine leicht und locker. Und Pottwale gehen sogar noch 3.000 Meter unter der Wasseroberfläche auf die Jagd nach Tintenfischen und anderen Beutetieren. Schon dies klingt sensationell, denn die Welt dort ist dunkel, eiskalt und es herrscht ein Druck von 300 Bar. Nur durch spezielle Anpassungen können die hier lebenden Organismen diesen enormen Belastungen standhalten.
Umso unglaublicher ist jedoch, dass es auch noch achttausend Meter weiter unten am Challengertief im Marianengraben von Leben nur so zu wimmeln scheint. Eindeutige Indizien dafür haben japanische und britische Meereswissenschaftler im Jahr 2005 in Sedimentproben aus 10.896 Meter Wassertiefe entdeckt. Gesammelt hatte den Schlick der ferngesteuerte japanische Tauchroboter Kaiko einige Jahre zuvor. Bei der anschließenden „Volkszählung“ stießen die Forscher um Yuko Todo von der Universität von Shizuoka vor allem auf große Mengen an winzigen einzelligen Kreaturen.
Kammerlinge in Massen
Wie die Untersuchungen ergaben, handelte es sich bei Kaikos Mitbringsel um insgesamt 432 Foraminiferen – auch Kammerlinge genannt –, von denen viele zu Arten gehörten, die den Biologen bisher völlig unbekannt waren. Die Wissenschaftler um Todo wunderten sich aber noch mehr über das ziemlich ungewöhnliche Aussehen der meisten der zierlichen Organismen.
Denn sie besaßen nicht wie andere Foraminiferen eine harte und stabile Kalkschale sondern lediglich weiche, leicht verformbare Außenwände. Ursache dafür ist nach Ansicht der Forscher, dass das Meerwasser in diesen Tiefen viel zu wenig Kalziumcarbonat enthält, um die Ausbildung der häufig kunstvoll geformten Hüllen zu ermöglichen.
Organischer Regen als Nahrung
Ziemlich klar ist auch der „Speiseplan“ der braunen, häufig einkammerigen, röhrenförmigen Lebewesen: Vermutlich filtern sie organische Partikel aus dem Meerwasser, die aus höher gelegenen Schichten in den Marianengraben hinab regnen. Alternativ ernähren sie sich möglicherweise auch von im Meerwasser gelösten Substanzen.
Entwickelt haben die Foraminiferen diese Anpassungen an den extremen Lebensraum vermutlich in den letzten sechs bis neun Millionen Jahren. Denn in diesem Zeitraum sind die tiefsten Rinnen des westlichen Pazifikraums – darunter auch der Marianengraben – nach Schätzungen des internationalen Forscherteams entstanden.
„Die Abstammungslinie, zu der die Foraminiferen mit den weichen Wänden gehören, schließt auch die einzigen Arten ein, die jemals das Süßwasser und das Festland eroberten“, so Todo und seine Kollegen von Japans Agency für Marine-Erath Science, der Nagasaki Universität und dem Oceanography Centre im englischen Southampton im Wissenschaftsmagazin „Science“. „DNA-Analysen der neu entdeckten Organismen legen zudem nahe, dass sie eine ursprüngliche Form von Lebewesen aus der Zeit des Präkambiums verkörpern, aus der sich im Laufe der Zeit komplexere, mehrkammerige Organismen entwickelten.“
Foraminiferen geben noch immer Rätsel auf
Doch trotz aller Forschungserfolge haben die ungewöhnlichen Foraminiferen vom Challengertief noch längst nicht alle Geheimnisse preisgegeben. Ein Rätsel ist für die Wissenschaftler beispielsweise, warum sie sich gerade diesen unwirtlichen Ort als Lebensraum ausgesucht haben. Klären müssen Todo und Co künftig aber auch, wieso die weichen Kammerlinge im Challengertief so häufig sind und dort sogar alle andere Foraminiferenarten dominieren.
Das Ende der Tiefseegräbenforschung?
Kaiko kann dabei allerdings nicht mehr mithelfen. Bei einem Einsatz im Mai 2003 in einem anderen Tiefseegraben verschwand er für immer in der Tiefsee. Ein herber Verlust – nicht nur für japanische Forscher. Denn mit Kaiko ging das einzige Unterseeboot auf Nimmerwiedersehen verloren, das auch in Tiefen von 7.000 Metern und mehr vordringen konnte.
Stand: 12.09.2008