Die Flut kommt – an der deutschen Nordseeküste die normalste Sache der Welt. Im Idealfall regelmäßig etwa alle zwölf Stunden melden die Pegel der Messstationen die höchsten Stände beim Gezeitenhochwasser. Anschließend läuft das Wasser wieder ab, bis schließlich Ebbe herrscht.
Bei diesem ewigen Wechsel zwischen Ebbe und Flut schwankt der Wasserspiegel an der Nordsee etwa um zwei bis vier Meter, in einigen anderen Regionen der Erde wie der kanadischen Bay of Fundy, kann der Tidenhub jedoch unglaubliche 16 Meter betragen. Wie jedoch kommt es innerhalb dieses Gezeitenrhythmus, der maßgeblich durch die Anziehungskräfte von Sonne und Mond gesteuert wird, zu einer Sturmflut? Wann wird die Nordsee zum tobenden Meer, das Deiche und Menschen, ja ganze Küstenregionen zu verschlingen droht?
Meist gibt es nicht nur eine einzige Ursache dafür, dass aus einer ruhigen See ein alles vernichtendes Ungetüm wird, das Deiche einreisst und Todesopfer fordert. Eine Sturmflut entsteht normalerweise aus dem Zusammenspiel von Gezeiten, Luftdruck, Windverhältnissen und Küstenform.
Ohne Wind keine Sturmflut – auf diese einfache Formel lässt die Suche nach den Gründen für eine Sturmflut trotzdem bringen. Er muss nur stark genug sein und aus der „richtigen“ Richtung wehen, damit die Wassermassen auf das Festland oder die Inseln „zurollen“. An der Nordsee sind vor allem die Nord-, Nordwest- und Westwinde gefährlich.
Wie groß dieser so genannte „Windstau“ schließlich wirklich wird, hängt von der Dauer eines Sturmes ab und von der Meeresstrecke, auf die er einwirkt. Treffen Windstau und die normale Gezeitenflut zusammen auf die Küste, summiert sich ihre Höhe und eine Sturmflut droht.
Stürme und Tiefdruckgebiete weit draußen auf dem offenen Ozean können bei der Entstehung von Sturmfluten ebenfalls ein „Wörtchen mitreden“. Die von ihnen erzeugten ‚Wasserberge‘ erreichen als so genannte Fernwellen die Küsten und sorgen für 80 Zentimeter mehr Wasserhöhe am Deich. Die vom Wind erzeugten Oberflächenwellen tun ein Übriges, um die Deiche bei einer Sturmflut auf die Probe zu stellen. Fällt dieses Sturmflutszenario gar mit einer Springflut zusammen, ist „Holland in Not“. Die Wasserstände an der Küste steigen noch weiter – etwa um einen halben Meter. Alle Voraussetzungen für eine Rekordflut sind gegeben…
An der schleswig-holsteinischen Nordseeküste spricht man immer dann von einer schweren Sturmflut, wenn das Wasser um zwei Meter höher steigt als beim normalen Tidehochwasser. Klettern die Pegel durch die sich addierenden Sturmflutfaktoren sogar drei Meter über normal, wird die Küste von einer sehr schweren Sturmflut heimgesucht. Normalerweise ist die kritische Phase für die hinter den Deichen zitternden Menschen allerdings relativ kurz. Wenn die Gezeitenflut ihren Höchststand überschritten hat, gehen die Pegel in der Regel schnell zurück und die Gefahr für Deichbrüche und andere verheerende Sturmflutfolgen sinkt von Minute zu Minute immer mehr.
Stand: 20.04.2002