Mit dem Large Hadron Collider stößt die Naturwissenschaft zu Beginn des neuen Jahrtausends das Tor zu einer faszinierenden Welt der allerkleinsten Größenordnung und der höchsten Energieskalen auf. Tiefer als jemals zuvor dringen die Teilchenphysiker mit dem LHC in den Phänomenbereich des Mikrokosmos ein. Bis dato waren der Physik diese Areale lediglich in alternativen, zum Teil widersprüchlichen Theorien zugänglich. Der LHC soll nun auch experimentell den Zutritt verschaffen. Er wird zurzeit in Genf am CERN fertig gestellt – dem weltweit größten Labor für Teilchenphysik.
Lichtgeschwindigkeit im Kreis
Bei der Experimentiermaschine handelt es sich um einen Ringbeschleuniger, der auf Jahre hinaus der leistungsfähigste seiner Art sein wird. Mit dem LHC werden die CERN-Physiker voraussichtlich ab Jahreswechsel 2007/2008 Pakete von Protonen auf einer 27 km langen Kreisbahn auf annähernde Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und bei einer Energie von zwei mal sieben Tera-Elektronenvolt zur Kollision bringen. Der neue Teilchenbeschleuniger lässt Alchemisten-Träume wahr werden – wenn auch nur im Allerkleinsten: im Zusammenprall wird die Energie der Protonenstrahlen in neue Materie verwandelt. Tausende von Teilchen entstehen, die von Detektoren – riesigen Messapparaturen – aufgefangen werden.
Um alle Kollisionspunkte herum, insgesamt vier an der Zahl, haben die Physiker am CERN Detektoren installiert, die als eine Art Fotoapparat die entstandenen Teilchen, je nach deren Eigenschaften und Durchdringungsvermögen, in unterschiedlichen Detektorschichten vermessen und absorbieren. Gleichzeitig liefern sie unzählige Messdaten, die den Forschern Antworten auf eine Vielzahl von Fragen über den Aufbau der Welt im subatomaren Bereich liefern.
Die Detektoren sind experimentelle Messinstrumente von höchster Komplexität. Sie sind so etwas wie die Augen, mit denen die Physiker in die tiefsten Tiefen des Mikrokosmos blicken. Zwei der vier im Aufbau befindlichen Detektoren, ATLAS und CMS – Messapparaturen von der Größe eines fünfgeschossigen Wohnhauses, bestehend aus Milliarden von Schaltkreisen, Mikrochips und Supermagneten – widmen sich einem breiten Spektrum von grundsätzlichen physikalischen Fragestellungen. Im Zentrum der Forschungsarbeit steht, neben anderen, die Frage nach dem Ursprung der Masse der Elementarteilchen.
Higgs ist schwer zu fassen
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Das Higgs-Teilchen ist als solches nicht direkt zu fassen. Denn im Moment seiner Entstehung zerfällt es auch schon wieder in so genannte ‚Sekundärteilchen’. Nur über diese Sekundärteilchen kann es dann schließlich identifiziert werden. Allerdings ist nur die Masse des Higgs-Teilchens unbekannt. Nimmt man einen Wert für diese an, so sind alle weiteren Eigenschaften im Standardmodell festgelegt und sein Steckbrief kann präzise berechnet werden. Je nach Massenbereich, in dem das Higgs-Teilchen auftritt, sind aber auch die Zerfallsprodukte jeweils andere. Entsprechend muss man verschiedene Nachweistechnologien im ATLAS-Experiment hintereinander schalten, um alle möglichen Arten von Zerfällen bestimmen und vermessen zu können.
Das führt zu den Fragen ‚wie’ und ‚wer’. ATLAS steht für ‚A Toroidal LHC Apparatus’ und bezeichnet zum einen den riesigen Nachweisapparat, zum anderen aber auch die entsprechende, etwa 2.000 Personen zählende Kollaboration aus 153 Universitäten und Forschungseinrichtungen aus 34 Ländern in aller Welt. Bereits seit Beginn der 90er Jahre studieren und entwickeln hunderte von Physikern das Design und die Technologien, die für das ATLAS-Experiment angestrebt werden. Zurzeit wird sowohl der Aufbau des Detektors in der Kaverne 100 Meter unter der Erdoberfläche am CERN, als auch die Entwicklung der Software zur Auslese und Rekonstruktion der Daten abgeschlossen.
Im 44 Meter langen ATLAS-Detektor bauen sich, ausgehend vom Kollisionspunkt, um die Strahlachse des LHC-Bescheunigers bis zu einem Durchmesser von 22 Metern die unterschiedlichsten Messschichten –Spurdetektoren, Kalorimeter, Myonspektrometer – auf. Jede hat als eigener Subdetektor seine spezifische Funktion. Nur wenn die Subdetektoren von ATLAS harmonisch wie in einem Symphonieorchester zusammenspielen, können die zahlreichen ATLAS-Physiker die in der Kollision entstehenden Teilchenarten bestimmen und analysieren und sich der Beobachtung des Higgs-Teilchens annähern.
Stand: 13.04.2007