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Psychologie

Wo sich narzisstische Menschen tummeln

Narzissten in Gesellschaft, Beruf und Privatleben

Schaut man sich in den (sozialen) Medien um, könnte man meinen, Narzissten lauern hinter jeder Ecke. Der Firmen- oder Regierungschef, die Freundin oder der Nachbar: Überall werden Narzissten vermutet, was auch an der teils vagen Umschreibung, den vielen Facetten narzisstischer Persönlichkeiten und vorschnellen Einordnungen durch Laien liegt.

Sechs Menschen verschiedenen Alters
Mit dem Alter schwächen sich die narzisstischen Züge zwar ab. Narzissten fallen jedoch Zeit ihres Lebens durch egozentrisches Verhalten auf. © PixelsEffect / GettyImages

Narzissmus ist keine Seltenheit

Tatsächlich belegt ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei etwa einem von 100 Menschen. „Vermutlich ist weniger als ein Prozent der Bevölkerung von der Störung betroffen“, schreibt der Verband Pro Psychotherapie e.V.. Andere medizinische Berufsverbände sprechen von 0,4 bis 0,5 Prozent. Damit ist die Störung gar nicht so selten. Mit dem Alter nimmt der Hang zum Narzissmus zwar insgesamt leicht ab, wie Forschende kürzlich herausfanden (doi: 10.1037/bul0000436). Doch wer schon als Kind überdurchschnittlich narzisstisch war, sticht sein Leben lang heraus.

Wie viele „echte“ Narzissten es gibt, ist allerdings nur schwer zu sagen. Denn oft geht die narzisstische Persönlichkeitsstörung – insbesondere der vulnerable Narzissmus – auch mit anderen psychischen Symptomen einher. „Die Störung wird häufig zusammen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung beobachtet.“ Auch Bipolare Störungen, Depressionen, ADHS und Suchterkrankungen treten oft begleitend auf, was die Diagnose Narzissmus zusätzlich erschweren kann (doi: 10.1016/S2215-0366(23)00293-6).

Gemälde Narcissus von Caravaggio
Narcissus von Caravaggio, 1597–1599, Galleria Nazionale d’Arte Antica. Das Gemälde stellt die mythologische Figur des Narziss dar, der sich im Wasser spiegelt und sich in sein eigenes Bild verliebt. © Carole Raddato /CC-by 2.0

Sind Männer narzisstischer?

Auffällig scheint dabei: „75 Prozent sind Männer und 25 Prozent Frauen“, so der Verband. Auch der Namensgeber, der schöne Jüngling Narziss aus der griechischen Mythologie, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte, war ein Mann. Dass Männer häufiger narzisstische Merkmale aufweisen und Frauen eher umgängliche, prosoziale Verhaltensweisen, bestätigen verschiedene Studien.

Grund dafür könnten geschlechtsspezifische Unterschiede im Belohnungszentrum unseres Gehirns sein. Diese könnten biologisch bedingt, aber auch eine Folge der Erziehung sein. Denn narzisstisches Benehmen wird bei Männern gesellschaftlich meist stärker toleriert und gefördert als bei Frauen. „Gerade Frauen werden hart dafür kritisiert, aggressiv und gebieterisch zu sein“, sagt Emily Grijalva von der University of Buffalo. „Das übt daher Druck auf sie aus, mehr als bei Männern, ihr narzisstisches Verhalten zu unterdrücken.“

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Wahrscheinlich sind Männer demnach nicht per se narzisstischer, sondern zeigen dies nur deutlicher nach außen hin – vor allem durch extrovertierte Narzissmus-Merkmale wie Machtstreben. Die ohnehin weniger sichtbare Form des „verdeckten“, introvertierten Narzissmus trat der Studie zufolge hingegen bei Männern und Frauen etwa gleich häufig auf. Auch wenn diese Form oft als weiblicher Narzissmus bezeichnet wird, ist sie nicht typisch weiblich.

Satirische Figuren von Donald Trump und anderen US-Politikern in einem Schaufenster
In der Politik tummeln sich häufiger Narzissten. © Roman Tiraspolsky / iStock

Narzissmus in der Politik…

Narzissten können wegen ihres vermeintlichen Selbstbewusstseins und dominanten Auftretens durchaus charismatisch, begeisterungsfähig, faszinierend, überzeugend und attraktiv wirken. Im Alltag sind sie oft gut angepasst, ehrgeizig, engagiert und anerkannt. Sie sind gut darin, den Erfolg anderer für sich zu beanspruchen, bei Misserfolg die Schuld anderen zuzuweisen und ihr Umfeld zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Narzisstische Menschen sitzen daher häufig in Chefetagen und auf Führungspositionen – sei es in der Wirtschaft oder Politik.

Auch wenn Ferndiagnosen schwierig sind, nennen Experten gelegentlich den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump als ein prominentes Beispiel eines Narzissten. Destruktive narzisstische Züge werden auch Recep Erdogan, Wladimir Putin und Boris Johnson nachgesagt. Die Diktatoren Hitler und Stalin gelten zudem als bösartige Narzissten. „Staatspräsidenten mit solchen Persönlichkeitszügen stellen für die liberale Gesellschaft eine Gefahr dar“, sagt der Psychoanalytiker Otto Kernberg gegenüber der NZZ. „Der bösartige Narzisst glaubt, er stehe über dem Gesetz. Ihm fehlt ein moralisches Empfinden, er verhält sich antisozial, lügt und betrügt, um seine Großartigkeit zu schützen.“

… und am Arbeitsplatz

Auch am Arbeitsplatz kann das Verhalten von narzisstischen Vorgesetzen zu Konflikten führen, etwa wenn er oder sie keinen Widerspruch und Kritik duldet. „Sie nehmen den Rat anderer nicht an und vertrauen der Meinung anderer nicht“, sagt Satoris Howes von der Oregon State University (doi: 10.1177/0149206320929421). „Und sie lernen nicht daraus, wenn sie Fehler machen.“ Das kann zu wiederholt schlechten Entscheidungen für die Firma und Streit in Vorständen führen. Narzissten wollen zudem häufig keine Kontrolle abgegeben und behindern die Kooperation zwischen Abteilungen (doi: 10.1002/smj.3406). Oft verhalten sich Narzissten auch willkürlich gegenüber ihren Mitarbeitenden oder erwarten zu viel.

Mitarbeiter sollten sich dann gut überlegen, wann sie die Auseinandersetzung mit einem Narzissten suchen und wann sich das wegen dessen mangelnder Einsicht nicht lohnt. Im Idealfall lässt man sich vom Elan und der Vision des narzisstischen Vorgesetzen mitreißen, wehrt unfaires oder destruktives Verhalten vorsichtig ab und ignoriert den Rest. Nach Lob und Anerkennung müssen Mitarbeitende dann allerdings andernorts suchen.

Private und gesellschaftliche Konflikte mit Narzissten

Auch für zwischenmenschliche Beziehungen und den sozialen Zusammenhalt können Narzissten eine Herausforderung sein. „Diejenigen, die denken, dass sie bereits überlegen sind, versuchen kaum, sich zu verbessern“, sagt Brad Bushman von der Ohio State University. Eher machen sie andere schlecht, kontrollieren und manipulieren diese, um selbst im Vorteil zu bleiben. Das gilt sowohl für Paarbeziehungen und Familien als auch für Freundschaften.

„Für die Gesellschaft ist Narzissmus darüber hinaus besonders kritisch, weil Menschen, die nur an sich selbst und ihre eigenen Interessen denken, wenig hilfreich für andere sind“, sagt Bushman. Für ein gutes Miteinander müssen demnach andere sorgen, auf den Beitrag und die Unterstützung von Narzissten sollte man nicht hoffen. Für das Umfeld von Narzissten ist es insgesamt am vielversprechendsten, wenig zu erwarten, ihnen viel Verständnis entgegenzubringen und Kritik vorsichtig zu formulieren. Zugleich sollte man Narzissten aber auch klare Grenzen setzen und sich nicht manipulieren lassen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Narzissmus: Zwischen Angst und Aggression
Launischer Charakter oder Persönlichkeitsstörung?

Was ist Narzissmus?
Das Paradoxon der vermeintlichen Überlegenheit

Empathielose Egomanen mit Geltungsdrang
Woran erkennt man Narzissten?

Wo sich narzisstische Menschen tummeln
Narzissten in Gesellschaft, Beruf und Privatleben

Wie geht man mit Narzissten um?
Warum Narzissmus weder vermeidbar, noch heilbar ist

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