3.210 Meter hoch auf einem Alpenkamm gelegen, von steilen Felsrippen gesäumt und weit oberhalb der geschützten fruchtbaren Täler: Der Fundort von Ötzi ist keine sehr heimelige Gegend. Daher liegt es nahe, dass Ötzi sich nur vorübergehend in dieser Höhe aufhielt. Woher aber kam er? Um das herauszufinden, mussten die Archäologen fast schon detektivische Fähigkeiten an den Tag legen.
Für eine lange Wanderung gerüstet
Die ersten Hinweise liefert die Ausrüstung der Eismumie: Ötzi war gut für eine längere Wanderung und einen Aufenthalt in den Bergen ausgestattet. Seine Kleidung war warm und schützte vor Regen und Wind, Dolch und Axt dienten ihm als Waffen und Werkzeuge zugleich. Eine Rückentrage mit einem Gestell aus einem gebogenen Haselzweig diente als Rucksack.
Dass Ötzi darauf eingestellt war, unterwegs auch mal Kleidung oder Ausrüstung flicken zu müssen, zeigt ein kleiner Vorrat an nützlichen Ersatzteilen, darunter Sehnen, Lederriemen und Schnüre. Unter seinen Besitztümern fanden die Archäologen zudem einen Retuscheur – ein Werkzeug, mit dem die Menschen der Steinzeit ihre Feuersteinklingen nachschärfen und ausbessern konnten.
Der Gletschermann trug zudem ein Gefäß aus Birkenrinde mit sich, in dem er die Glut des letzten Feuers geschützt transportieren konnte. Eine innere Schicht aus Ahornblättern schirmte die glimmende Holzkohle vor Wind ab und verhinderte ein zu schnelles Aufzehren der Kohle. In den kalten Nächten des Hochgebirges konnte sich Ötzi so vor Kälte, aber vielleicht auch vor wilden Tieren schützen.
Südlich der Alpen
Woher aber kam Ötzi ursprünglich? Erste Indizien dazu lieferte die Machart der Ausrüstung. Sie ähnelt in vielem den Gegenständen, die Archäologen in Gräbern der kupferzeitlichen Remedello-Kultur in der Poebene gefunden haben. Unter den typischen Grabbeigaben der Männer dort waren unter anderem Dolche und Beile, die denen von Ötzi ähneln.
Auf zumindest enge Beziehungen zu Kulturen südlich des Alpenkammes deuten auch die hölzernen Ausrüstungsgegenstände hin. Ein Großteil der 18 verschiedenen dafür verwendeten Baumarten kam damals auf der Südseite der Alpen vor. Pollen, die Forscher im Verdauungstrakt der Eismumie fanden, stammen ebenfalls aus dem Süden.
Verräterische Isotope
Noch konkretere Hinweise erhielten die Archäologen aus Isotopen-Analysen von Ötzis Zähnen und Knochen. Denn die in ihnen eingelagerten Elemente spiegeln die typische Isotopensignatur der Nahrung eines Menschen wider. „Wir können die Zusammensetzung der Erde und des Gesteins, auf denen die Nahrung des Mannes gewachsen ist, aufgrund zweier Arten von Isotopen rekonstruieren – Strontium und Blei“, erklärt Wolfgang Müller von der Australian National University.
„Zudem ermöglichen Sauerstoffisotope eine Rekonstruktion der Zusammensetzung des vom Eismann eingenommenen Wassers“, fährt der Wissenschaftler fort. Denn das nördlich und südlich der Alpen aus Wolken abregnende Wasser ist unterschiedlicher Herkunft – und diese Isotopenverhältnisse werden in Knochen und Zähne konserviert.
Südliche Alpentäler als Heimat
Das Ergebnis: Ötzi stammt aus dem südlichen Alpenraum, nicht aus der Poebene. Seine frühe Kindheit hat der Gletschermann wahrscheinlich in einem rund 60 Kilometer von seiner Fundstelle entfernten Alpental verbracht. Vor seinem Tod aber lebte er dann mindestens zehn Jahre im Vinschgau – einer Gegend unmittelbar südlich der Ötztaler Alpen.
Anfang 2016 schafften es die Forscher sogar, Ötzis Herkunft noch weiter einzuengen. Anhand seiner mitochondrialen DNA fanden sie heraus, dass die Mutter des Gletschermannes einem lokalen Bergvolk angehörte. Dieser damals nur auf diese Alpenregion beschränkte Volksstamm starb bereits kurze Zeit später aus, so dass es heute zumindest von diesem Gentyp keine Ötzi-Verwandten mehr gibt.
Damit scheint klar, dass Ötzi in den Hochtälern und auf den Höhen der Alpen durchaus heimisch war. Aber was trieb ihn so weit auf das Tisenjoch hinauf?
Nadja Podbregar
Stand: 16.09.2016