Dass auch Pflanzen wie tierische Nervenzellen Signale über elektrochemische Aktionspotenziale weitergeben, ist schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wies man sie bei den schnellen Bewegungen der Venusfliegenfalle und der Mimose nach. Aber nach Meinung der modernen Pflanzenneurobiologen gehen die Gemeinsamkeiten noch viel weiter.
Synapsen, Reize und Sinneszellen
In ihren Fachartikeln vergleicht die Neurobiologen-Clique um den Bonner Frantisek Baluska und den Florentiner Stefano Mancuso immer wieder pflanzliche Strukturen und Abläufe mit denen des Nervensystems von Mensch und Tier. Baluska und Volkmann beschreiben etwa die „pflanzliche Synapse“. An diesen Zellübergängen würden genau wie bei den Synapsen tierischer Nervenzellen, Signale mittels chemischer Botenstoffe von einer Zelle zur nächsten weitergegeben.
„Wir haben in den letzten fünf bis zehn Jahren außerdem festgestellt, dass es ganz bestimmte Regionen in der Pflanze gibt, die besser ausgestattet sind, um Umweltreize wahrzunehmen“, sagt Volkmann. Die Wurzelspitze etwa habe einen Schwerkraftsinn. Und sie reagiere auf akustische Reize in bestimmten Frequenzbereichen, fand Stefano Mancuso in Versuchen heraus. Da bestimmte Zellen in der Wurzelspitze ähnlich wie Hirn-Neuronen in synchronen Phasen oszillieren, scheut Baluska sich nicht, von einem Gehirn-ähnlichen Zustand zu sprechen. „Wir behaupten natürlich nicht, dass Pflanzen so etwas wie Nerven oder gar ein Gehirn haben“, sagt Dieter Volkmann. Aber es gebe Analogien zwischen dem Tier- und Pflanzenreich, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Spurensuche im pflanzlichen Informationsnetzwerk
Die alten Begriffe reichten einfach nicht mehr aus, um all die neuen Entdeckungen zu beschreiben. „Wenn man herausfinden wolle, wie eine Sonnenblume es schafft, ein Aktionspotenzial über eine Distanz von 30 Zentimetern zu senden – was einer Länge von mehr als tausend Zellen entspricht – mit welchem vergleichbarem Phänomen sollten wir unseren Vergleich denn sonst beginnen, wenn nicht mit Tieren“, sagt Eric Brenner vom Botanischen Garten New York.
Vor allem reagiere die Pflanze als Gesamtorganismus auf die Reize aus ihrer Umwelt, und nicht wie man bisher dachte, nur in einzelnen Bereichen, von den der eine nicht weiß, was der andere tut. „Dieses Informationsnetzwerk innerhalb der Pflanze wollen wir entschlüsseln“, sagt Brenner.
Marcus Anhäuser
Stand: 18.07.2008