Der eine kann nicht stillsitzen und zappelt so lange am Tisch herum, bis er auf die Erde fällt – der andere läuft völlig gedankenverloren über die Straße und bekommt nichts von seiner Umgebung mit: Der Zappelphilipp und Hanns Guck-in-die-Luft sind zwei Charaktere aus Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“. Doch die beiden inzwischen über 170 Jahre alten Figuren wecken nicht nur das Interesse von Literaturhistorikern. In der klinischen Psychologie werden sie aus heutiger Sicht oftmals auch als charaktertypische Beschreibungen für Symptome eines verbreiteten Krankheitsbildes interpretiert: der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS.
Doch beschrieb Hoffmann wirklich zwei kranke Jungen oder nur das ganz normale Verhalten zweier Heranwachsender? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Schließlich ist jedes Kind manchmal verträumt oder unruhig und hat keine Lust, still zu sitzen. Wo der Normalfall aufhört und ADHS beginnt, ist für Eltern oft kaum zu erkennen – und selbst Psychotherapeuten und Psychiater tun sich mit einem sicheren Urteil mitunter schwer.
Drei Kernsymptome
Als Voraussetzung für die Diagnose ADHS gilt typischerweise das Vorhandensein dreier Kernsymptome: beeinträchtigte Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Betroffene Kinder zeigen sich häufig unkonzentriert, lassen sich leicht ablenken, wirken rastlos und müssen immer in Bewegung sein. Darüber hinaus folgen sie stets ungebremst ihren spontanen Ideen und Wünschen und können nicht gut abwarten. Dabei fallen sie zum Beispiel anderen ins Wort oder platzen in das Spiel anderer Kinder hinein.
Unaufmerksames und impulsives Verhalten gepaart mit deutlicher Hyperaktivität ist laut geltender Leitlinie jedoch nur dann ein krankhaftes Problem, wenn es über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten besteht und nicht dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes entspricht. Das heißt: Der Junge oder das Mädchen verhält sich im Vergleich zu Gleichaltrigen wesentlich anders.
{2r}
Zudem müssen die Verhaltensauffälligkeiten zu einer deutlichen Beeinträchtigung in sozialen Lebensbereichen führen. Ob in der Familie oder im Umfeld von Kindergarten und Schule: Hier kommt es bei ADHS immer wieder zu Konflikten und Problemen – zum Beispiel, weil die Kinder ständig ermahnt werden müssen, dauernd stören oder eingeforderte Leistungen nicht erbringen.
Leseschwäche und Aggressivität
Circa zwei Drittel der Betroffenen zeigen neben diesen Kernsymptomen weitere Auffälligkeiten. Weil die Kinder durch ihr abweichendes Verhalten oft hinter ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit zurückbleiben, kann sich nach der Einschulung zum Beispiel eine Lese- oder Rechtschreibschwäche manifestieren.
Auch Tic-Störungen oder Störungen des Sozialverhaltens sind bei ADHS häufig. Viele Patienten reagieren etwa schnell aggressiv, leiden unter Wutausbrüchen und haben Schwierigkeiten sich in eine Gruppe einzugliedern.
Sonderform ADS
Ähnlich wie ADHS äußert sich ADS – eine Sonderform der Aufmerksamkeitsstörung, die ohne die typischen Merkmale einer Hyperaktivität einhergeht. Von dieser Variante der Erkrankung sind mehr Mädchen als Jungen betroffen. Oftmals fallen sie dadurch auf, dass sie geistesabwesend wirken und vergesslich sind.
Daniela Albat
Stand: 22.07.2016