Ein schneidender Wind fegt über das Hochplateau und die Sonne brennt unbarmherzig auf den nackten Fels. Einsam krallt sich ein Gelber Alpenmohn in eine Mauernische und sucht Schutz vor den unwirtlichen Bedingungen. Einige Gräser leisten ihm Gesellschaft und doch ist von einem Boden auf den ersten Blick nicht viel zu sehen. Wie schaffen es die Pflanzen, in mehreren tausend Meter Höhe mit nicht viel mehr als dem Nichts zu überleben?
Vom Rohboden
Am Anfang einer Bodenentwicklung wie im Hochgebirge stehen Mikroorganismen und Flechten. Sie besiedeln mit ihren geringen Ansprüchen als erste die Felsen und beziehen ihre Nährstoffe direkt aus dem Gestein, der Luft und dem Regenwasser. Mit der Zeit sterben diese Erstbewohner ab und auf dem Fels und in kleinen Ritzen sammelt sich totes organisches Material und feinste Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Kalium oder Silizium. Nun beginnt die Zeit der Pionierpflanzen wie des Alpenmohns, die sich an solch ein geringes Nährstoffangebot optimal angepasst haben. Sie klammern sich mit ihren Wurzeln an den Fels und halten dadurch gleichzeitig die kostbaren Erdkrümel fest…
So oder ähnlich sieht der Beginn einer Bodenbildung aus, doch trotz dieser viel versprechenden Anfänge ist es noch ein weiter Weg bis hin zur mächtigen Humusdecke. Wie in einer Zeitreise lassen sich die verschiedenen Stadien der Pedogenese, so der wissenschaftliche Begriff für die Entstehung eines Bodens, in den Höhenlagen eines Gebirges beobachten.
Über die dünne Humusdecke
Denn einige hundert Meter tiefer sieht das Bild schon anders aus: prächtige Blumen leuchten farbenfroh aus einem Gräsermeer, hin und wieder unterbrochen von knorrigen Sträuchern oder zwergwüchsigen Bäumen. Doch noch täuscht die Vielfalt über die extremen Wuchsbedingungen hinweg Denn lediglich eine zentimeterdicke Humusschicht bedeckt den Rohboden, der daher noch extrem empfindlich gegenüber der Erosion ist. Immer wieder bläst der Wind wertvolle Bodenpartikel aus, wird die Krume durch Viehtritt verdichtet oder durch den Regen ausgewaschen. Nicht nur kahle und steile Hänge sondern auch der zum Teil immer noch karge Pflanzenbewuchs zeigen die Stellen des gehemmten Bodenwachstums an.
Zum tiefgründigen Boden
Weitgehend stabilisiert hat sich hingegen die Bodenentwicklung in den tieferen Lagen. Durch eine längere Vegetationszeit, die wärmeren Temperaturen und das flachere Relief sammelt sich hier wesentlich mehr totes organisches Material. Regenwürmer, Käfer, Spinnen, Pilze und Flechten zersetzen modriges Laub, zernagen umgestürzte Bäume und ernähren sich von toten Tieren. Dabei zerkleinern, verdauen und verwerten sie die Organismen und scheiden diese wieder aus – die Humusdecke wächst. Vom Regen ausgewaschene Bodenpartikel der Hanglangen sammelt sich in Senken und bilden zum Teil fruchtbare Schwemmböden.
Unterirdisch und somit nicht sichtbar schreitet aber auch die Verwitterung des Gesteinsuntergrundes weiter fort. Zusätzlich liefern Bäche und Bergstürze aus den Hochlagen immer wieder Felsschutt als mineralischen Nachschub. So wächst mit der Zeit nicht nur die lebensnotwendige Nährstoffschicht, sondern auch der verwitterte Unterboden. Nur so finden Tiefwurzler wie Bäume festen Halt und schützen gleichzeitig mit ihrem ausgedehnten Wurzelwerk den Boden vor der Erosion. Wenn alles gut läuft, dauert es durchschnittlich 15.000 Jahre, bis ein Boden vom unbeschädigten Fels auf ungefähr einen Meter Mächtigkeit angewachsen ist. Doch schon ein einziger Felssturz aus höheren Lagen kann alles unter sich begraben und die jahrhundertlange Bodenbildung unterbrechen – der Kreislauf beginnt von vorn.
Stand: 22.07.2005