Wer Friedemann Schrenk besuchen will, kann ihn im Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main treffen. Dort an der Kasse holt Schrenk den Besucher ab. Sein Gesicht ist zwar hinter einer Coronamaske verborgen und seine Kleidung unauffällig – schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt –, doch die hohe Stirn und das weiße, etwas verwuschelte Haar sind unverkennbar: Der Paläobiologe hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, seit er 1991 im südostafrikanischen Malawi ein Fossil der wohl ältesten Menschenart fand, den 2,5 Millionen Jahre alten Unterkiefer des Homo rudolfensis.
Schrenk führt den Besucher durch Grüppchen von Museumsbesuchern hindurch an riesigen Skeletten und Tier-Dioramen vorbei bis durch eine unscheinbare Tür in den Forschungs- und Verwaltungstrakt des Museums. Hier erstirbt das Stimmengewirr, die Farben- und Formenpracht der Museumsexponate weicht nüchterner Bürosachlichkeit. In einer kleinen Bibliothek mit Blechregalen unter Neonleuchten stößt noch Schrenks Kollege Ottmar Kullmer hinzu, auch er hat bei der Entdeckung des Unterkiefers eine entscheidende Rolle gespielt. 1992 war das, ein Jahr nach dem spektakulären Fund Schrenks.

Rätselhafter Fund am Turkana-See
Die Entdeckungsgeschichte des Homo rudolfensis geht zurück auf die 1970er Jahre. Damals führte Richard Leakey, Sohn des Homo habilis-Entdeckers Louis Leakey, Ausgrabungen in Koobi Fora am Turkana-See in Kenia durch. Tatsächlich fand Leakey dort mehrere Fossilien der Vormenschen Australopithecus und Paranthropus boisei. Doch ein als KNM-ER 1470 katalogisierter Schädel passte nicht dazu. Er hatte ein größeres Hirnvolumen und ein flacheres Gesicht als die Vormenschen, unterschied sich aber auch vom Homo habilis.
Worum es sich bei diesem 1,9 Millionen Jahre alten Fossil handelte, blieb zunächst unklar. Erst 1986 bekommt der Fund von einem russischen Paläoanthropologen eine vorläufige Zuordnung und einen Namen: Homo rudolfensis – nach dem alten kolonialen Namen des Turkana-Sees. Doch Einordnung und Stammbaum-Position des Fossils bleiben zunächst umstritten, denn der Schädel ist stark erodiert und der Unterkiefer fehlt.