Wie bei einem Brief reicht es auch bei den Hormonen nicht, einen Entstehungsort, einen Absender zu haben. Denn ohne Adresse gelangen sie nicht zum Ziel und können auch ihre Botschaft nicht loswerden. Aber woher „weiß“ ein Hormon, wo es hin muss? Einmal von den Hormondrüsen ausgeschüttet, werden die Botenstoffe mit dem Blut scheinbar ziellos durch den Körper gespült. Doch irgendwo im Gewirr des zusammengenommen mehr als 100.000 Kilometer langen Adernetzes verstecken sich die Zellen und Gewebe, auf die das Hormon wirken soll. Aber wo?
Die Antwort ist ganz einfach: Denn die „Adresse“ des Hormons ist seine chemische Struktur. Sie ist so unterschiedlich wie auch die Funktion der Botenstoffe. Neben winzigen, wasserlöslichen Verbindungen aus nur einer Aminosäure, wie dem Adrenalin oder Dopamin, gibt es Peptidhormone aus längeren Aminosäureketten, wie das Oxytocin oder das Wachstumshormon. Sexualhormone wie Östrogen oder Testosteron dagegen gehören zu den fettlöslichen Cholesterinverbindungen, die so genannten Steroidhormone.
Haustür und Lieferanteneingang
Die Adressaten dieser Hormonbotschaften, die Zielzellen, erkennen die spezifische Struktur „ihres“ Hormons mithilfe bestimmter Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Erst wenn der Botenstoff nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip angedockt hat, werden im Inneren der Zelle Schalter umgelegt und die „Anweisungen von oben“ in konkrete Stoffwechselvorgänge umgesetzt. Dabei liefern wasserlösliche Hormone ihre Botschaften meist direkt an der „Haustür“, den Rezeptoren auf der Zelloberfläche, ab, fettlösliche Hormone dagegen können durch den „Lieferanteneingang“ in die Zelle eindringen und binden erst im Inneren an ihre Rezeptoren.
Durch dieses Prinzip kann ein Hormon nicht nur auf ganz verschiedene Gewebe und Zellen wirken, auch die Reaktion der Zielzellen kann ganz unterschiedlich sein: Lagert sich das Hormon an einem hemmenden Rezeptor an, blockiert seine Aktivierung einen Prozess. Wird dagegen ein fördernder Rezeptor aktiviert, beschleunigen sich beispielsweise bestimmte Produktionsprozesse in der Zelle.
Auf diese Weise sorgt beispielsweise das Stresshormon Adrenalin im Falle einer Gefahr dafür, dass wir fluchtbereit sind und die letzten Kraftreserven mobilisieren können. Es reduziert in Sekundenschnelle die Blutversorgung in Magen und Darm und kurbelt dafür die Durchblutung der Muskeln in Armen und Beinen extrem an, um Kampf oder Flucht vorzubereiten.
Schutz vor Abbaupatrouillen gesucht
Die chemische Struktur der Hormone dient nicht nur als Erkennungsmerkmal und „Adressaufkleber“, sie spielt auch für Pharmakologen eine entscheidende Rolle. Dann nämlich, wenn es darum geht, Hormonpräparate zu entwickeln, die möglichst vollständig und direkt an ihr Ziel gelangen.
Denn die Hormonart bestimmt unter anderem, warum die Pille, eine Mischung von Östrogenen und Progesteronverbindungen, ohne Probleme als Tablette geschluckt werden kann, das für den Diabetiker wichtige Insulin aber in der Regel gespritzt werden muss. Während die Geschlechtshormone zu den fettlöslichen Steroidhormonen gehören und daher im Magen und Darm nicht zersetzt werden, bleibt vom wasserlöslichen Insulin schon nach wenigen Minuten im Verdauungstrakt nichts mehr übrig.
Doch selbst wenn ein Hormonpräparat unbeschadet im Blutkreislauf ankommt, kann es noch deaktiviert werden. Denn hier droht Gefahr in Form der „Abbaupatrouillen“ – Proteinverbindungen, die darauf spezialisiert sind, überschüssige und nicht mehr gebrauchte Hormone zu entsorgen. Gäbe es sie nicht, würden die Botenstoffe auch nach dem Überbringen ihrer Botschaft weiter im Blut kursieren und so eine Dauer- oder Überreaktion verursachen. Den künstlich zugeführten Hormonersatzstoffen allerdings kann eben dies zum Verhängnis werden.
Stand: 19.11.2004