Seitdem der Mensch die Regeln der Vererbungslehre kennt, kann er Lebewesen nach seinen Vorstellungen erschaffen: durch gezielte Züchtung. Sowohl das körperliche Erscheinungsbild als auch die charakterlichen Eigenschaften von Tieren lassen sich durch diesen selektiven Prozess beeinflussen. Im Laufe der Jahrhunderte ist so beispielsweise das Hausrind entstanden, von dem es inzwischen zahlreiche unterschiedliche Rassen gibt.
All diese Rinder gehen auf einen wilden Vorfahren zurück, den Auerochsen. Dieses ursprünglich in großen Teilen Asiens, Europas und auch in Nordafrika verbreitete Tier starb vor rund 2.000 Jahren weitestgehend aus. Nur in Zentraleuropa überlebte wahrscheinlich eine kleine Population – bis sie im 17. Jahrhundert ebenfalls verschwand.
Auerochse 2.0
Obwohl es den auch Ur genannten Vater des Hausrinds nicht mehr gibt, leben einige seiner charakteristischen Merkmale in heutigen Rinderrassen weiter. Einige haben seine stattliche Größe geerbt, andere seine nach vorne gerichteten Hörner, wieder andere sein aggressives Temperament. Diese Tatsache hat Wissenschaftler auf eine Idee gebracht: Wäre es möglich, den Weg vom Auerochsen zum Hausrind noch einmal zu gehen – nur in die entgegengesetzte Richtung?
Kreuzt man Vertreter jener Rassen, die typische Auerochsen-Eigenschaften aufweisen, könnte demzufolge nach und nach wieder ein dem ausgestorbenen Wildrind ähnliches Wesen entstehen. Ein erster Versuch einer solchen Rückzüchtung wurde bereits in den 1920er Jahren unternommen. Die daraus hervorgegangenen Heckrinder unterscheiden sich bezüglich ihres Körperbaus jedoch deutlich vom Vorbild. Deshalb sind inzwischen neue Projekte im Gang – unter anderem das sogenannte Tauros-Programm.
Blick in die Gene
Seit 2008 versuchen die Initiatoren aus als ursprünglich geltenden Rassen wie Sayaguesa- und Limia-Rindern ein dem Auerochsen gleichendes Rind zu schaffen. Dabei helfen ihnen auch die Fortschritte in der Genomsequenzierung. Denn mittlerweile sind nicht nur die Erbgutsequenzen einer Vielzahl von Hausrindrassen bekannt. Aus DNA-Proben von einem 7.000 Jahre alten Fossil konnte vor kurzem auch das Genom des Auerochsen selbst rekonstruiert werden.
Genvergleiche führten schließlich zur Identifizierung von mehr als 300 Genen, die für den Auswahlprozess im Laufe der Domestikation des Rinds wahrscheinlich von größerer Bedeutung gewesen sind. Das Ziel ist es nun, nicht nur ein äußerliches und charakterliches Ebenbild des Auerochsen zu erschaffen, sondern auch ein möglichst genaues genetisches.
Es braucht Verwandte
Ob eines Tages tatsächlich wieder echte Urochsen durch Europa streifen werden, steht zwar in den Sternen. Doch prinzipiell wäre eine Wiederbelebung ausgestorbener Tiere mithilfe dieser Methode auch für andere Arten denkbar – unter einer wichtigen Bedingung: Die charakteristischen Merkmale der ausgerotteten Art müssen sich bei noch lebenden Spezies wiederfinden. „Das bedeutet, dass dieser Ansatz möglicherweise nur dann sinnvoll ist, wenn die ausgestorbene Art einen relativ engen, noch lebenden Verwandten hat“, schreibt die Evolutionsbiologin Beth Shapiro von der University of California in Santa Cruz.
Daniela Albat
Stand: 06.07.2018