Während Neurowissenschaftler bei der Sehrinde eine Vorstellung davon haben, was die verschiedenen Areale leisten – manche sind für die räumliche Anordnung zuständig, andere für Farbe oder komplexere Strukturen – ist über die Funktion der einzelnen Hörfelder kaum etwas bekannt.
Die von den Tübinger Wissenschaftlern gezeichnete Landkarte des Hörzentrums dient nun als Grundlage, um herauszufinden, welche Rolle den einzelnen Bereichen zukommt und wie sie dabei zusammenspielen. Und ob sie sich vielleicht von anderen Sinnesreizen beeinflussen lassen. Schließlich setzt sich die Wahrnehmung unserer Umwelt aus Informationen von verschiedenen Sinnesorganen zusammen.
Das Gehirn muss zum Beispiel Gehörtes und Gesehenes miteinander verknüpfen, damit wir akustische Informationen zuverlässig und vollständig erfassen können. Was passieren kann, wenn dies nicht so ganz gelingt, wenn Auge und Ohr Informationen senden, die nicht so recht zusammenpassen, lehren uns gute Bauchredner: Wir hören eine Stimme, sehen die Mundbewegung der Puppe und es scheint so, als ob das leblose Ding tatsächlich reden könnte. Der Künstler hat unser Gehirn getäuscht.
Verknüpft wird erst zum Schluss…
Die Informationen, die verschiedene Sinnesorgane senden, werden also im Denkorgan verknüpft. Die Frage ist, wo, wann und wie das passiert. Da gibt es theoretisch viele Möglichkeiten. Eine gängige Hypothese lautet: Verknüpft wird erst zum Schluss – also dann, wenn jedes Gehirnzentrum bereits ein fertiges Bild von seinem Reiz hat. Das andere Extrem wäre, dass die Integration schon ganz zu Anfang, auf den ersten Stufen der sensorischen Verarbeitung, stattfindet und sich die Sinne gegenseitig ergänzen.
…oder doch nicht?
„Wir haben eine Entdeckung gemacht, die nahelegt, dass eher die zweite Hypothese zutrifft“, berichtet Kayser. Er hat gemeinsam mit seinen Kollegen beobachtet, dass sich die Arbeit des Hörzentrums von optischen Reizen beeinflussen lässt.
Dazu spielten die Forscher ihren Versuchstieren Geräusche vor, wie sie in der natürlichen Umwelt ihrer wild lebenden Artgenossen vorkommen, also etwa das Rascheln von Blättern. Wie zu erwarten, reagierte der Hörcortex auf den Reiz, was sich im fMRT durch eine erhöhte Aktivität in dieser Hirnregion bemerkbar machte. Zeigten die Forscher den Affen nun gleichzeitig kurze Filmsequenzen, in denen Tiere durchs Gebüsch springen, so wurde das Hörzentrum noch aktiver.
Doch damit nicht genug: Selbst Filme ohne akustische Untermalung machten sich in diesem Bereich des Gehirns in Form eines leicht erhöhten Aktivitätssignals bemerkbar. Videos, die statt natürlicher Objekte nur bunte komplexe Strukturen zeigten, hinterließen keine Spuren in der Hörregion der Affenhirne.
Lippenbewegungen stimulieren auditorischen Cortex
„Das zeigt, dass in dieser Region offensichtlich Sinnesleistungen im Gehirn zusammengeführt werden und dass dies gleich passiert, nachdem die Information im Denkorgan ankommt“, erläutert Christoph Kayser die Bedeutung der Versuchsergebnisse. Was er und seine Kollegen mithilfe moderner bildgebender Verfahren bei Rhesusaffen sehen, fügt sich hervorragend in eine Reihe von Beobachtungen ein, die andere Wissenschaftler beim Menschen gemacht haben.
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So entdeckte die Gruppe um Gemma Calvert von der University of Oxford im Jahr 2001, dass sich akustische und optische Signale bei der Sprachwahrnehmung gegenseitig verstärken. Der Anblick eines Sprechers und seiner Lippenbewegungen genügt, um auch den auditorischen Cortex der freiwilligen Probanden in Aufmerksamkeit zu versetzen – selbst wenn der Darsteller nur zusammenhangslose Fantasielaute brabbelt. Schneidet das Gesicht auf dem Monitor dagegen nur Grimassen, findet das Hörzentrum dies offensichtlich völlig uninteressant.
Stand: 10.05.2007