Ein Areal unseres Gehirns, das noch vor der Geburt vor Aktivität strotzt, ist die sogenannte Wernicke-Region im linken Schläfenlappen des Großhirns. Schon sehr früh hilft uns diese Hirnregion nicht nur dabei, in Höchstgeschwindigkeiten von 0,2 bis 0,5 Sekunden Laute wie „Ma“ und „Pa“ voneinander zu unterscheiden. Sie entscheidet für uns auch darüber, ob eine Aneinanderreihung von Silben überhaupt ein Wort darstellt und damit wert ist, sich ihr weiter zu widmen.
Schon von Geburt an ist das Gehirn von Babys zudem darauf geeicht, auf sich wiederholende Silben gleichen Klangs besonders zu reagieren. Deshalb sind die ersten Worte eines Kleinkinds auch meistens „Ma-ma“ oder „Da-da“ und nicht „Mu-ma“ oder ähnliches. Später können im Wernicke Areal auch einfache Sätze aus wenigen Wörtern verarbeitet werden.
Ab drei Jahren übernimmt das Broca-Zentrum
Etwa bis zum dritten Lebensjahr ist die Wernicke-Region das Epizentrum unserer Sprache. Erst ab diesem Alter gesellt sich nach und nach auch eine zweite zentrale Sprachregion dazu: Die Broca-Region im Stirnbereich unseres Großhirns, die sich vor allem der Verarbeitung komplizierterer Sprache widmet. Sie empfängt die vorsortierten Informationen aus dem Schläfenlappen und verleiht den einzeln aneinandergereihten Wörtern eine Gesamtbedeutung.
Aus separaten Rohinformationen werden so sinnvolle Sätze gebaut. Indem sich auch hier die Neuronen mehr und mehr verdrahten, werden für uns mit zunehmendem Alter auch kompliziertere Formulierungen zur Leichtigkeit. Wir können den erhöhten Schwierigkeitsgrad komplexer Sätze also zunehmend auch dadurch wettmachen, dass unser Broca-Areal stärker als bei einfachen Sätzen aktiviert wird.
Optimierte Nervenverbindungen
Doch nicht nur dadurch: Auch die Verbindungsbahn zwischen den beiden Hauptakteuren der Sprachverarbeitung, der Wernicke- und der Broca-Region, spielt eine entscheidende Rolle. Dieses Bündel Nervenfasern, der Fasciculus arcuatus, braucht besonders lange, um voll funktionstüchtig zu sein. Der Grund: Es bildet um jede seiner Fasern langsam eine dicke Myelinschicht. Das braucht zwar viele Jahre, ist dann aber umso wirkungsvoller.
Denn ähnlich wie der Kunststoff um den Kupferdraht eines Stromkabels, sorgt das Myelin dafür, dass die elektrischen Signale mit möglichst wenigen Verlusten und in hoher Geschwindigkeit übertragen werden. Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass schwierige Sätze umso schneller verarbeitet werden, je dicker die Myelinschicht um diese Hochgeschwindigkeitskabel ist. Dadurch können ungefähr erst mit Ende der Pubertät kompliziertere Formulierungen genauso schnell verarbeitet werden wie einfache – egal, ob der Igel als Objekt an erster oder letzter Stelle im Satz steht.
Angela Friederici, Michael Skeide und Verena Müller / Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Stand: 26.02.2016