Schon seit langer Zeit hat die Forschung großes Interesse an Zwillingen. Bereits vor etwa 150 Jahren untersuchte Sir Francis Galton, der Cousin von Charles Darwin, die Verteilung von Verhaltensweisen und bestimmten Fähigkeiten innerhalb und zwischen Familien sowie insbesondere zwischen Zwillingen, weshalb er als Begründer der Zwillingsforschung gilt. Bis heute versucht man mit der Zwillingsforschung diese Frage nach „Anlage oder Umwelt?“ zu beantworten. Also, ob bestimmte Eigenschaften durch die Gene, die Umwelt oder vielleicht sogar beides bedingt sind.
Deshalb sind besonders eineiige Zwillinge für die Forschung interessant. An ihnen sind Umwelteinflüsse aufgrund ihrer nahezu identischen Erbinformation besonders gut zu erforschen. Bei der Auswertung von Zwillingsstudien muss allerdings beachtet werden, dass selbst eineiige Zwillinge nicht zu 100 Prozent, sondern nur etwa zu 99,99 Prozent genetisch übereinstimmen, wie man heute weiß.
Wie funktioniert die Zwillingsforschung?
Für Zwillingsstudien sind aber nicht nur eineiige Zwillinge interessant. Sie betrifft genauso auch zweieiige Zwillinge, da diese zwar nicht so stark in ihrer Erbinformation übereinstimmen wie eineiige Zwillinge, aber ebenfalls zeitgleich geboren werden und so seit ihrer Zeugung den gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Umwelteinflüssen unterliegen. Deshalb dienen sie in der klassischen Zwillingsforschung als Vergleichsgruppe.
Die Forscher untersuchen dann die sogenannte Konkordanz, die Ähnlichkeit bestimmter Merkmale von eineiigen Zwillingen im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen. Daraus können sie schlussfolgern: Ähneln sich die eineiigen Zwillinge in diesem Merkmal mehr als zweieiige Zwillinge, ist das ein Hinweis auf einen genetischen Einfluss. Wenn sich eineiige Zwillinge dagegen in bestimmten Merkmalen auffallend unterscheiden, könnte dies ein Hinweis auf den Einfluss von Umweltfaktoren sein. Besonders interessant sind dafür eineiige Zwillinge, die nach der Geburt getrennt wurden. Hier untersuchen Zwillingsforscher, wie ähnlich sich die Zwillinge trotz der Trennung noch sind und was sie unterscheidet.
Und die Erkenntnisse?
Auf diese Weise untersuchen Zwillingsforscher schon seit Jahren jedes nur erdenkliche menschliche Merkmal. Von der Körpergröße, dem Gewicht, dem Lieblingsessen oder der Sportlichkeit über politische Überzeugungen, Religiösität, sexuelle Orientierung und Partnerwahl bis hin zur Veranlagung für psychische Erkrankungen, Krebs oder Aggressivität.
Eine schon lange, sehr beliebte Fragestellung ist dabei die Frage nach der Erblichkeit der Intelligenz. Hier kamen Forschende mithilfe von Zwillingsstudien zu dem Schluss, dass diese bis zu 70 Prozent vererbt wird. Das bedeutet, dass Abweichungen vom Intelligenzdurchschnitt der Bevölkerung zu 70 Prozent auf genetische Faktoren zurückgehen. Dieser Wert bezieht sich aber nur auf den Durchschnitt, nicht auf die individuelle Intelligenz eines Menschen.
Umgekehrt ermittelten Zwillingsforscher, dass bei der Entwicklung der Persönlichkeit das soziale Umfeld und die Erziehung ausschlaggebender sind als die Gene. So sollen Eigenschaften wie Ängstlichkeit oder Offenheit nur zu etwa 30 Prozent genetisch sein und auch der genetische Einfluss bei politischen oder moralischen Einstellungen ist wohl nur sehr gering.
Ebenfalls großes Interesse haben Zwillingsforscher an der Lebenserwartung und der Entstehung von Krankheiten. So werden aktuell viele verschieden Krankheiten, wie Krebs oder chronisch entzündliche Darm- und Nervenerkrankungen, auf ihre genetischen Ursachen hin untersucht. Durch hochentwickelte Verfahren kann heutzutage aber auch die DNA selbst so genau untersucht werden, dass die Forscher minimale Unterschiede zwischen eineiigen Zwillinge aufdecken und auf krankheitsauslösende Gene schließen können.
Zudem gewannen Forscher durch Zwillingsstudien wichtige Erkenntnisse über die Epigenetik, also Umweltfaktoren, die Einfluss auf Genaktivität besitzen und die Gesundheit individuell und unabhängig von der tatsächlichen DNA beeinflussen.
Insgesamt kommen Zwillingsforscher heute zu dem Schluss, dass immer beide Aspekte, Genetik und Umwelt, eine Rolle spielen wenn auch in unterschiedlichen Anteilen. Das genaue Zusammenspiel dieser Faktoren ist jedoch hochkomplex und in vielen Fällen erst in Teilen geklärt.