Genauso begeistert wie die Weltöffentlichkeit Thor Heyerdahls Expeditionen und Theorien feierte, so umstritten blieb sein Wirken zeitlebens in großen Teilen der wissenschaftlichen Welt. Man warf ihm häufig nicht nur mangelnde Seriosität und Scharlatanerie vor, sondern setzte auch alles daran seine Hypothesen und Ideen zu widerlegen. Und häufig genug ist dies durch den technischen Fortschritt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch gelungen.
„Out of Asia“ setzt sich durch
Thor Heyerdahls vielleicht wichtigste Theorie, die eine frühgeschichtliche Völkerwanderung von Südamerika in den Pazifik postulierte, ist jedenfalls heute weitgehend entkräftet. Ein ganzes Sammelsurium an Belegen aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen spricht dafür, dass die ersten Einwohner Polynesiens stattdessen von Südostasien aus in den Pazifischen Raum einwandert sind.
So haben Sprachwissenschaftler in dieser Region mittlerweile mehr als 800 verschiedene Dialekte entdeckt, die samt und sonders auf einer sogenannten austronesischen Ursprache beruhen, die ihre linguistische Heimat irgendwo in Südostasien hat.
Untersuchungen des Erbguts der polynesischen Bevölkerung ergaben nur geringe Unterschiede zwischen den vielen verschiedenen Völker, die im riesigen Dreieck zwischen der Osterinsel, Hawaii und Neuseeland leben. Gefunden wurden dabei Gene, die nur in Asien vorkommen. DNA-Analysen lieferten laut dem American Journal of Human Genetics darüberhinaus den Beweis dafür, dass die Eroberung dieser pazifischen Inseln von zwei verschiedenen Ausgangspunkten in Angriff genommen wurde: Taiwan und Papua-Neuguinea.
Weitere Hinweise auf die Besiedlung Polynesiens von Südostasien aus lieferte die Archäologie. Eine besonderer Typ der Keramik, die Lapita-Keramik, die nach einem Fundort auf Neukaledonien benannt ist, gilt als Paradebeispiel für die Schlüssigkeit der „Out of Asia-Hypothese“. Dieses Steingut mit den typischen Motiven und Ornamenten ist nicht nur in Polynesien weit verbreitet, sondern taucht auch von Melanesien über Indonesien bis nach Südostasien überall auf.
Eilzug nach Polynesien?
Wie schnell die vorchristliche Besiedlung des pazifischen Raums, die vielleicht vor 8.000 Jahren vermutlich in Taiwan begann, letztlich von statten ging, darüber streiten sich die Wissenschaftler bis heute. Während manche Forscher wie der Christopher Austin vom South Australian Museum in Adelaide von einem „Fast train to Polynesia“ vor gut 5.000 Jahren sprechen und eine epidemieartige Besiedlung der Inselgruppen für wahrscheinlich halten, meinen andere, dass es sich bei dieser Wanderungsbewegung eher um ein „slow boat“ oder einen Bummelzug gehandelt haben müsse, der über jahrtausende hinweg von verschiedenen Orten aus in Bewegung war.
Immerhin haben die Anhänger der D-Zug-Hypothese in letzter Zeit Aufwind erhalten. Schuld daran ist eine kleine Eidechse namens Lipinia noctua. Der Evolutionsbiologe Christopher Austin widmet ihr seit Jahren große Aufmerksamkeit, weil sie auf vielen Pazifikinseln in unmittelbarer Nachbarschaft zum Menschen lebt. Wie Austin 1999 in Nature berichtete, stellte er bei Genanalysen der Mitochindrien-DNA dieser kleinen Tierchen fest, dass die Erbanlagen der Art im ganzen polynesischen Raum nur in winzigen Nuancen voneinander abweichen. „Die extreme genetische Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Populationen, lässt auf eine schnelle Kolonisierung von einem einzigen Ursprung aus schließen. Meiner Meinung stützt dies die express-train Hypothese eindeutig,“ sagte Austin im Wissenschaftsjournal Nature.
Begründer der experimentellen Archäologie
Trotz aller Kritik an seiner Arbeit und der wiederlegten Theorien hat Thor Heyerdahl jedoch seinen Eintrag im Buch der Geschichte in jedem Fall sicher. Durch die Fahrten mit der Kon-Tiki, Ra II oder Tigris hat er der bis dahin fast ausschließlich auf Scherben, Silbermünzen oder Sarkophage fixierten Archäologie zu neuen, ungewöhnlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung verholfen.
Der von seinen Anhänger als Begründer der experimentellen Archäologie gefeierte Seemann, Wissenschaftler, Abenteurer und Kriegsgegner bediente sich dabei dem einfachen Mittel „copy and taste“ – kopiere die antiken Schiffe mithilfe von alten Zeichnungen oder Bildern und probiere aus, was sie leisten können.
Mit seinen Expeditionen konnte er so nachweisen, dass die bis zu 5.000 Jahre alten Kulturen lange vor den Europäern durchaus in der Lage waren mit ihren primitiven Booten und Flößen die Weltmeere zu befahren und Einfluss auf andere Kulturen zu nehmen. Und wenn dies möglich war, warum sollten frühe Seefahrer aus Ägypten, Mesopotamien oder Südamerika diese Chance im Einzelfall nicht genutzt haben, ohne dass wir heute davon wissen?
Vermutlich hat Thor Heyerdahl also Recht, wenn er behauptet: „Weil wir Europäer glauben , dass wir das Reisen erfunden haben, ignorieren wir das Naheliegende einfach. In Wirklichkeit haben wir keinen einzigen Kontinent entdeckt, vermutlich nicht einmal ein Inselchen. Irgendjemand war immer vor uns da…“
Stand: 01.01.2003