Zoologie

Ein schmerzhafter Kuss

Neunaugen haben eine ungewöhnliche Lebensweise und sind auch genetisch besonders

Neunauge
Neunaugen sind kuriose Wasserbewohner. © T. Lawrence, Great Lakes Fishery Commission

Autsch! Mit diesem großen Maul voller spitzer Zähne möchte wohl keiner gern Bekanntschaft machen. Zum Glück haben es blutsaugende Neunaugen wie dieses nur selten auf Schwimmer und dafür viel häufiger auf große Fische abgesehen. Doch nicht nur die Lebensweise dieser kieferlosen Wirbeltiere ist besonders, sondern auch ihre DNA.

Neunaugen sind in vielerlei Hinsicht kurios. So sehen sie zum Beispiel aus wie Fische, sind aber gar keine. Denn anders als Fische besitzen Neunaugen keine Kiefer, sondern lediglich ein rundliches Saugmaul voller spitzer Hornzähne. Damit haften sie sich an ihre Beute an – in der Regel große Fische, ganz selten auch mal Badegäste –, raspeln Fleischstücke ab und saugen Blut.

Große, gesunde Fische überleben eine solche Attacke meist. Zurück bleiben lediglich charakteristische runde Naben. Nur für kleinere und geschwächte Fische endet ein Neunaugen-Angriff auch mal tödlich. Anders als der Name vermuten lässt, haben Neunaugen übrigens nicht wirklich neun Augen, sondern zwei. Doch ihre Nasenöffnung und sieben rundliche Kiemenspalten an der Seite ihres Körpers lassen die Tiere auf den ersten Blick vieläugig erscheinen.

Ein urzeitliches Erbe

Neunaugen gibt es bereits seit der Urzeit. Sie sind lebende Fossilien, die sich seit ihrer Entstehung vor über 360 Millionen – noch vor den Dinosauriern – kaum verändert haben. Dieses urzeitliche Erbe ist für die Wissenschaft äußerst wertvoll, denn es erlaubt unvergleichliche Einblicke in die Welt der frühen Wirbeltiere und darin, wie der gemeinsame Vorfahre aller Wirbeltiere ausgesehen haben könnte.

„Neunaugen könnten der Schlüssel zum Verständnis unserer Herkunft sein“, erklärt Carole LaBonne von der Northwestern University. „Wenn man in der Evolutionsbiologie verstehen will, woher ein Merkmal stammt, kann man nicht nach vorne zu komplexeren Wirbeltieren schauen, die sich 500 Millionen Jahre lang unabhängig voneinander entwickelt haben. Man muss zurückblicken auf die primitivste Version der Tierart, die man untersucht, und das führt uns zurück zu Schleimaalen und Neunaugen – den letzten lebenden Beispielen kieferloser Wirbeltiere.“

Möglicher „Kieferdieb“ identifiziert

LaBonne und ihre Kollegen haben sich die Urtümlichkeit der Neunaugen nun zu Nutze gemacht, um durch sie mehr über die Ursprünge zweier wichtiger Stammzellen herauszufinden: embryonaler Stammzellen und Zellen der Neuralleiste. Beide können sich bei Wirbeltieren zu vielen verschiedenen Zelltypen des Körpers weiterentwickeln.

Überraschenderweise entdeckten die Forschenden bei ihrer Analyse viele genetische Gemeinsamkeiten zwischen der Stammzell-Veranlagung der Neunaugen und der von kiefertragenden Wirbeltieren. Doch es gab auch erhebliche Unterschiede: „Während die meisten Gene, die die Pluripotenz kontrollieren, in der Neuralleiste des Neunauges exprimiert werden, ist die Expression eines dieser Schlüsselgene – pou5 – in diesen Zellen verloren gegangen“, erklärt Erstautor Joshua York.

Das könnte wiederum erklären, warum Neunaugen keine Kiefer besitzen, denn pou5 ist entscheidend für die Entwicklung von Kopf und Kieferskelett, wie die Forschenden erklären. (Nature Ecology & Evolution, 2024; doi: 10.1038/s41559-024-02476-8)

Quelle: Northwestern University

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