Medizin

Feuerwerk im Gehirn

Ein Krebsmedikament könnte Menschen mit Rett-Syndrom helfen

Hirn-Organoid
Diese farbenprächtige Kultur eines Hirn-Organoids könnte für Menschen mit Rett-Syndrom eine Trendwende bedeuten. © Muotri Lab/ UC San Diego Health Sciences

Was auf den ersten Blick aussieht wie die golden sprühenden Funken eines Feuerwerks, ist in Wirklichkeit Teil eines im Labor gezüchteten „Mini-Gehirns“. Doch das verzweigte Farbenspiel ist nicht nur schön anzusehen, sondern könnte auch Linderung für Menschen mit Rett-Syndrom versprechen – einer seltenen, schweren Entwicklungsstörung. Denn die obige Hirnkultur wurde mit einem Krebsmedikament behandelt, das die Symptome der Krankheit offenbar mildern kann.

Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 50 Kinder am sogenannten Rett-Syndrom – einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung des autistischen Spektrums, die vor allem bei Frauen auftritt. Betroffene können nicht oder nur wenig sprechen, ihre Hände nicht zielgerichtet bewegen und sind meist schwer geistig behindert. Etwa 80 bis 85 Prozent der Patientinnen entwickeln außerdem eine Epilepsie. Das Rett-Syndrom ist nicht heilbar. Erkrankte sind daher lebenslang auf eine Vollzeit-Betreuung angewiesen.

Mini-Gehirne und Hausmeister

Forschende um Pinar Mesci von der University of California San Diego könnten nun ein Medikament gefunden haben, mit dem sich die Symptome von Rett-Patienten immerhin lindern lassen. Um so weit zu kommen, mussten sie jedoch zunächst mehr über die Entstehung der Krankheit lernen und züchteten zu diesem Zweck sogenannte „Hirn-Organoide“. Dabei handelt es sich im Grunde um „Mini-Gehirne“, die aus Hautstammzellen herangezogen werden und das sich entwickelnde Gehirn eines Embryos nachahmen.

Mesci und ihr Team züchteten sowohl Organoide aus den Hautstammzahlen von Menschen mit Rett-Syndrom als auch von gesunden Personen und erforschten daran die Rolle der Mikroglia bei der Entstehung der Krankheit. Mikroglia sind eine Art der weißen Blutkörperchen, die auch als „Hausmeister“ des zentralen Nervensystems bezeichnet wird. Sie halten unser Gehirn und Rückenmark in Schuss, indem sie Bakterien und tote Zellen beseitigen und Synapsen „beschneiden“, um so die Gehirnfunktion zu optimieren.

Gesunde Mikroglia räumen auf

Bei Menschen mit Rett-Syndrom funktionieren die Mikroglia jedoch nicht richtig und können so ihrer Aufgabe nicht ausreichend nachkommen, wie Mesci und ihre Kollegen anhand der Hirn-Organoide beobachten konnten. Führten sie die Mikroglia von Erkrankten in ein gesundes „Mini-Gehirn“ ein, verursachten sie dort allerhand Probleme und sorgten schließlich dafür, dass die Synapsen in ihrer Funktion beeinträchtigt wurden.

Anders herum halfen gesunde Mikroglia den Hirn-Organoiden von Rett-Syndrom-Patienten jedoch wieder ein wenig auf die Sprünge. An einigen Stellen „retteten“ diese Hirn-Immunzellen die verlorengeglaubten Funktionen der Synapsen, wie die Forschenden erklären. Ein Medikament mit ähnlicher Wirkung wäre demnach für Betroffene viel wert.

Könnte ein Krebsmedikament helfen?

Auf der Suche nach einem passenden Mittel testeten Mescia und ihr Team eine Reihe vorhandener Medikamente an den Mikroglia und wurden tatsächlich fündig: ein experimentelles, oral einzunehmendes Medikament gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs führte in den kranken Gehirnkulturen dazu, dass sich neue Synapsen bildeten. Denn das als ADH-503 oder GB1275 bekannte Mittel wirkt als Regulator von CD11b – einem Protein, das an der „Hausmeisterei“ im Nervensystem beteiligt ist.

Ob das Medikament Menschen mit Rett-Syndrom auch in der Praxis Linderung verschaffen kann, muss sich nun in weiteren Tests zeigen, doch die Forschenden sind hoffnungsvoll. (Stem Cell Reports, 2024; doi: 10.1016/j.stemcr.2024.06.013

Quelle: University of California – San Diego

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Eine kurze Reise durch Geist und Gehirn - von Vilaynur S. Ramachandran

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

Top-Clicks der Woche