Neurobiologie

Zellautobahnen unter dem Mikroskop

Foto von Nervenzellen gibt Aufschluss über neurodegenerative Erkrankungen

Nervenzellen grün, lila und weiß eingefärbt
Mit diesem Foto, das Nervenzellen im Gehirntumor einer Maus zeigt, gewann Bruna Cisterna den Nikon Small World Wettbewerb. © Dr. Bruno Cisterna und Dr. Eric Vitriol/Nikon Small World

Was aussieht wie abstrakt anmutende Disteln, sind in Wahrheit Nervenzellen im Gehirntumor einer Maus. Die Forschung, die hinter diesem Bild steckt, könnte Aufschluss über den Ursprung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer geben und so die Grundlage für ein lange ersehntes Heilmittel legen. Das Foto hat gerade den 50. Nikon Small World Wettbewerb gewonnen.

Allein in Deutschland leiden rund 1,5 Millionen Menschen an Alzheimer. Die Krankheit gehört zu den neurodegenerativen Erkrankungen, ist also genau wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Parkinson und die Creutzfeld-Jakob-Krankheit auf den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen zurückzuführen. Was genau diese Neurodegeneration verursacht, ist erst teilweise bekannt. Eine entscheidende Rolle könnten aber genetische Faktoren, Umwelteinflüsse und bestimmte Virusinfektionen spielen.

Eine mikroskopisch kleine „Autobahn“

„Eines der Hauptprobleme bei neurodegenerativen Erkrankungen ist, dass wir nicht ganz verstehen, was sie verursacht. Um wirksame Behandlungen zu entwickeln, müssen wir erst die Grundlagen verstehen“, erklärt Bruno Cisterna von der Augusta University im US-Bundesstaat Georgia. Zusammen mit seinem Team hat er untersucht, wie Veränderungen im Zytoskelett zu Problemen in Nervenzellen und zum Zelltod führen können. Dabei ist auch das obige Foto entstanden.

Das Zytoskelett, hier in Grün und Weiß dargestellt, dient dazu, die Zellen zu stabilisieren. In Lila sind die Zellkerne der Nervenzellen zu sehen. Zum Zytoskelett gehören auch sogenannte Mikrotubuli, die als „Autobahn“ für Motorproteine dienen. Sie sind im Foto als grüne Fäden sichtbar.

Schneller ans Ziel ist nicht immer von Vorteil

Cisterna und seine Kollegen haben herausgefunden, dass das im Körper häufig vorkommende Protein Profilin-1 nicht nur für den Aufbau des Zytoskeletts, sondern auch für den Erhalt der Mikrotubuli eine Rolle spielt. Eine verringerte Ausschüttung des Proteins führte in Experimenten dazu, dass mehr Mikrotubuli gebildet wurden. Zusätzlich erhöhte sich durch den Mangel des Proteins die Geschwindigkeit auf den Mikrotubuli-Autobahnen. Zellorganellen bewegten sich so schneller von A nach B.

Diese Veränderungen im Zytoskelett klingen auf den ersten Blick vielleicht nicht dramatisch, können aber zu Zellveränderungen oder -beschädigungen führen, wie sie auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und ALS zu beobachten sind. Mehr über die genauen Zusammenhänge zu erfahren, könnte also womöglich auch mehr über die Ursprünge der Neurodegeneration verraten und sogar zu einem Heilmittel führen.

Eine Menge Geduld

Nicht nur bei der Suche nach einem Heilmittel ist Geduld gefragt: Auch Cisterna brauchte eine Menge Geduld, um das obige Foto aufzunehmen. „Ich habe etwa drei Monate damit verbracht, das Färbeverfahren zu perfektionieren, um eine klare Sichtbarkeit der Zellen zu gewährleisten“, erzählt der Forscher. Drei Stunden Beobachtung durch das Mikroskop waren erforderlich, um den richtigen Moment einzufangen. Diese Geduld hat ihm nun jedoch den ersten Platz beim Nikon Small World Wettbewerb beschert.

Seit 1975 ehrt der Wettbewerb alljährlich die besten durch ein Mikroskop geschossenen Fotos von Forschenden und Laien. Neben Kreativität und künstlerischer Wirkung berücksichtigt die Jury bei der Auswahl der Siegerbilder auch Informationsgehalt und technisches Können.

Quelle: Nikon Small World, Journal of Cell Biology

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