Diese geometrischen Formen sind keine künstlerische Lichtinstallation, sondern kommen durch Süßwasser-Cyanobakterien der Art Oscillatoria lutea zustande. Sie nutzen Licht zur Photosynthese und lagern sich dort als Gruppe zusammen, wo für sie günstige Lichtverhältnisse herrschen. Dadurch entstehen komplexe und stabile Strukturen wie diese abstrakten Muster.
Um ins Licht zu gelangen oder im Lichtkegel zu bleiben, nutzen die Cyanobakterien ihre Filamente – lange und flexible fadenförmige Strukturen auf der Oberfläche, mit denen sie sich vorwärts oder rückwärts fortbewegen können. Dabei richten sich die Mikroorganismen stets entlang des inneren Randes einer beleuchteten Fläche aus, wie Forscher vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen herausgefunden haben.
Emergenz: Gesamtstruktur aus Einzelleistungen
Je nachdem, welches Lichtmuster in den Bakterienkulturen vorherrscht, entstehen daher nach rund 20 Stunden unterschiedliche Formen und Muster in der mikrobiellen Architektur. In den Experimenten waren dies Kreise, Dreiecke, Trapeze oder andere geometrische Formen. Statt die gesamte Lichtfläche zu besiedeln, formten die Cyanobakterien jedoch nur ringförmige Strukturen beziehungsweise Konturen der entsprechenden Flächenform.
„Das ist ein typisches Beispiel für Emergenz – eine charakteristische Gesamtstruktur entsteht unabhängig auf einer höheren Ebene aus dem individuellen Verhalten eines einzelnen Filaments“, erklärt Stefan Karpitschka vom Max-Planck-Institut.
Je nach Winkel und Form der Lichtränder überlagern sich die verschiedenen Filamente oder stoßen sich ab. Dieses Zusammenspiel sorgt dafür, dass sich die Bakterien möglichst nahe an den Kanten platzieren können. Um die Struktur stabil zu halten, weisen die einzelnen Filamente auf der Oberfläche der Cyanobakterien in den Gruppen dabei in unterschiedliche Richtungen. Je nach ihrer Ausrichtung haben die Forscher die Filamente in ihren Bildern nachträglich unterschiedlich eingefärbt, daher die bunte Erscheinung der eigentlich farblosen Bakterienkulturen.
Inspiration für neue Materialien
In der Natur nutzen die untersuchten Cyanobakterien diese Art der Organisation und Aggregation wahrscheinlich, um als Gruppe im Wasser zu treiben. Weil Pflanzen und Gestein in den Gewässern unterschiedliche Muster von Licht und Schatten erzeugen, können sich die Bakterien so besser zum Licht hin orientieren, vermutet das Team.
Die Erkenntnisse könnten künftig genutzt werden, um sogenannte smarte Textilien oder andere Gewebe zu entwickeln. Denn auch diese basieren auf der Anordnung einzelner Fasern und Filamente. Die bei den Bakterien beobachteten Mechanismen der Selbstorganisation könnten daher die Entwicklung neuer Materialien ermöglichen. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-52936-9)
Quelle: Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS)